Die Energiekrise und der dadurch ausgelöste Anstieg des Gaspreises in Europa haben zu einem klaren Bruch mit der früheren, auf die Spotmärkte gestützten Energiepolitik der EU geführt. Noch vor nicht allzu langer Zeit sahen die Europäer neue langfristige Gaslieferverträge (und zwar nicht nur diejenigen mit Russland) als eine Art Schuldknechtschaft, die nicht nur die Abhängigkeit der EU von einzelnen Lieferanten steigere, sondern auch die Erreichung der Klimaziele erschwere.
Öl und Gas
Nach dem Anschlag auf die Nord Stream-Pipelines und dem starken Rückgang russischer Erdgaslieferungen, darunter der vollständigen Einstellung der Gaslieferungen durch die Jamal-Europa-Pipeline, ist der Transit russischen Erdgases durch ukrainisches Territorium einer der letzten Versorgungswege, auf dem russisches Erdgas in die EU gelangt, auch wenn die Lieferungen auf ein Drittel des Vorkriegsniveaus zurückgegangen sind.
Kasachstan wird langfristig mehr Erdöl nach Deutschland liefern. Schätzungsweise bis zu zwei Millionen Tonnen jährlich, und in der Zukunft vielleicht noch mehr. Das ist das Ergebnis der Gespräche auf höchster Ebene, die Ende September in Berlin stattfanden und an denen Bundeskanzler Olaf Scholz und der kasachische Präsident Kassim-Schomart Tokajew teilnahmen. Auf den ersten Blick erscheint eine solche Vereinbarung zweifellos vorteilhaft für alle Beteiligten.
Anfang Oktober 2023 berichtete Gas Infrastructure Europe, dass 95,99 % ihrer Gasspeicher gefüllt waren, was den Spitzenwert des letzten Winters übertraf. Dieses Resultat wurde 1,5 Monate früher als in der Wintersaison 2022\23 erreicht. Es ist jedoch noch nicht so weit, dass man sich im Erfolg des europäischen Energiesektors sonnen könnte, da die russischen Gaslieferungen auf lange Sicht nicht leicht zu ersetzen sein könnten.
Die Entwicklung der europäischen Wirtschaft und die Aussicht auf einen langen Krieg in der Ukraine sorgen dafür, dass die Frage der mittelfristigen Instrumente für die europäische Energieversorgungssicherheit ganz oben auf der Tagesordnung steht. Der Grundansatz, in Europa auf russisches Erdgas zu verzichten, hat teilweise funktioniert, sodass die Länder der EU den Winter 2022/23 ohne große wirtschaftliche und soziale Beeinträchtigungen überstanden haben.
Mit dem ehrgeizigen Ziel, sich schnell vom „Blutgas“ des Aggressors Russland zu lösen und es gegen “Freedom LNG” von der anderen Seite des Atlantiks einzutauschen, erfüllt die EU ihre moralische Pflicht. Sie führt sich damit unter Umständen jedoch ungewollt selbst in eine infrastrukturelle Sackgasse, wenn sie zwischen dem wirtschaftlichen und dem ökologischen Zusammenbruch wählen
Im Jahr 2022 verzeichnete Europa den stärksten Rückgang der Gasnachfrage aller Zeiten, und zwar um 55 Milliarden Kubikmeter (bcm) oder 13 %, wie die Internationale Energieagentur berichtet https://www.iea.org/commentaries/europe-s-energy-crisis-what-factors-drove-the-record-fall-in-natural-gas-demand-in-2022 . Gleichzeitig haben sich die Ausgaben für Gasimporte im Vergleich zu 2021 fast verdreifacht und erreichen 400 Milliarden Euro. Langfristig kann es sich der europäische Kontinent jedoch weder leisten, den Gasverbrauch so niedrig zu halten, noch so viel für Energie auszugeben.
Die EU muss nach Verhängung des Importverbots für russisches Öl aufgrund der Ereignisse in der Ukraine nun auf die Suche nach alternativen Lieferquellen gehen. Eine verstärkte Einfuhr des „schwarzen Goldes“ aus Afrika ist eine der Möglichkeiten. Allerdings ist laut Aussage von Fachleuten davon auszugehen, dass in nächster Zeit kein großer Zuwachs bei den Lieferungen aus Afrika zu erwarten ist. Dafür gibt es mehrere Gründe: niedrige Fördermengen und fehlende Gelder für ihren Ausbau, unzureichende Transportkapazitäten sowie Korruption und eine sehr instabile politische und zivilgesellschaftliche Lage in einer Reihe von Öl produzierenden Ländern Afrikas.
Die EU hat im vergangenen Jahr einige entscheidende Schritte zur Verringerung der Abhängigkeit von russischen Energielieferungen und zur Diversifizierung der Öl- und Gaslieferanten unternommen. So unterzeichnete Brüssel im Juli eine Absichtserklärung mit Aserbaidschan über eine strategische Energiepartnerschaft. Die Erklärung sieht vor, dass in den kommenden fünf Jahren eine mengenmäßige Verdopplung der Erdgas-Lieferungen aus Aserbaidschan stattfindet und dass das Land der EU ab 2027 mindestens 20 Milliarden Kubikmeter jährlich liefert.
Vor der russischen Invasion der Ukraine, der Preisexplosion auf dem europäischen Gasmarkt und dem Energie-Paradigmenwechsel in den Köpfen der europäischen Eliten war Russland traditionell der wichtigste Erdgaslieferant für Europa. Noch im Januar 2021 deckte Russland etwa 40 Prozent des europäischen Bedarfs. Derzeit liegt dieser Anteil laut Aussage der spanischen Energieministerin Teresa Ribera bei unter zehn Prozent.
Die Weltwirtschaftslage zwingt die Industrienationen, allen voran die EU, aber auch Indien, sich auf die Suche nach alternativen Bezugsquellen für Erdöl zu machen. Die Situation wird noch dadurch verschärft, dass sich die USA kurzfristig auf die Eindämmung der Brennstoffpreise im eigenen Land konzentrieren und zumindest bis Dezember 2022 kein zusätzliches Öl auf den Weltmarkt bringen werden. Die von den G7-Ländern beschlossene Deckelung des Preises für russisches Erdöl trägt ebenfalls beträchtlich zur Unsicherheit auf den Märkten bei.