DAS SCHWARZE GOLD AFRIKAS SUCHT EINEN WEG NACH EUROPA

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Die EU muss nach Verhängung des Importverbots für russisches Öl aufgrund der Ereignisse in der Ukraine nun auf die Suche nach alternativen Lieferquellen gehen. Eine verstärkte Einfuhr des „schwarzen Goldes“ aus Afrika ist eine der Möglichkeiten. Allerdings ist laut Aussage von Fachleuten davon auszugehen, dass in nächster Zeit kein großer Zuwachs bei den Lieferungen aus Afrika zu erwarten ist. Dafür gibt es mehrere Gründe: niedrige Fördermengen und fehlende Gelder für ihren Ausbau, unzureichende Transportkapazitäten sowie Korruption und eine sehr instabile politische und zivilgesellschaftliche Lage in einer Reihe von Öl produzierenden Ländern Afrikas.

Laut Kennedy Chege, Öl- und Gasspezialist an der Universität von Kapstadt, könnte sich der afrikanische Kontinent jetzt für Europa zu einer der zuverlässigsten Alternativen zum russischen Öl und Gas entwickeln.  Chege geht davon aus, dass die Lage auf dem europäischen Ölmarkt seit dem Lieferstopp für russische Brennstoffe eine „ausgezeichnete Gelegenheit“ für Afrika ist, Verträge mit europäischen Partner zu schließen.

Für das afrikanische Öl spricht auch der Umfang der Vorkommen: nach Einschätzung der Internationalen Energieagentur IEA verfügten die afrikanischen Länder 2021 über Rohölvorräte von über 125 Milliarden Barrel. Dies entspricht etwa sieben Prozent aller nachgewiesenen Vorkommen weltweit. Die Experten der IEA gehen außerdem davon aus, dass dieser für die sozialökonomische Entwicklung unentbehrliche Öl- und Gasreichtum das Wirtschaftswachstum auf dem Kontinent langfristig ankurbeln wird.

Seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine vor eineinhalb Jahren ist es vielen afrikanischen Staaten gelungen, ihre Öllieferungen nach Europa zu steigern. Nigeria und Angola haben sich zu den größten westafrikanischen Lieferanten Europas entwickelt: die Ausfuhr von Rohöl aus Angola nach Europa hat sich beispielsweise verzehnfacht, von  33 000 Barrel pro Tag auf über 300 000 Barrel.

Langfristig könnten die afrikanischen Länder für die EU der Retter in der Not werden, der das russische Öl zumindest teilweise ersetzen kann. Konkret bräuchten die afrikanischen Staaten hierfür umfangreiche internationale Investitionen für den Auf- und Ausbau der entsprechenden Energie-Infrastruktur.

Der Bericht der IEA erwähnt jedoch auch, dass die Vorkommen auf dem afrikanischen Kontinentalsockel dem afrikanischen Öl zwar zweifellos einen größeren Einfluss auf dem Weltmarkt verschaffen können, dass sie jedoch größtenteils noch nicht erschlossen sind. Lediglich etwa 6,8 Milliarden Barrel werden hier täglich gefördert. Hauptgrund hierfür sind politische und wirtschaftliche Instabilität, fehlende Investitionen, mangelhafte Transport- und Exportmöglichkeiten, technologische Probleme bei der Tiefsee-Erkundung, sowie fehlende Pipelines auf dem Kontinent.

Der Bericht The Gas for Africa, der von Hawilti Ltd. in Zusammenarbeit mit der Internationalen Gasunion IGU erstellt wurde, geht davon aus, dass die afrikanischen Staaten noch einige Hindernisse aus dem Weg räumen müssen, bevor sich das heutige günstige Zeitfenster schließt, wenn sie ihr Potenzial im Ölbereich ausschöpfen und eine stabile wirtschaftliche Entwicklung des Sektors erreichen wollen. Die Finanzierung von Energie-Großprojekten in Afrika hat momentan mit zwei großen Problemen zu kämpfen: die Schuldenlast der afrikanischen Staaten steigt, gleichzeitig gibt es bei den weltweiten Investmentfirmen einen Trend zur Vermeidung von Investitionen in Projekte, die mit fossilen Brennstoffen zu tun haben. In diesem Zusammenhang müssen afrikanische Ölfirmen die internationalen Investoren davon überzeugen, dass ihre Projekte weder der Umwelt noch dem Klima schaden, wenn sie neue Quellen erkunden wollen, um die vorhandene Ölförderung zu erweitern.

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Die Ölindustrie in Afrika braucht dringend Investitionsprojekte. Die Mehrheit der Länder erreicht momentan nicht einmal die von der OPEC zugeteilten Fördermengen. So erreichte Nigeria beispielsweise letztes Jahr nur 94 Prozent seiner Förderquote von 1,7 Millionen Barrel pro Tag, Angola nur 78 Prozent seiner maximalen Fördermenge von 1,4 Milliarden Barrel. Wenn nicht einmal die führenden Ölproduzenten Afrikas ihre zugelassenen Fördermengen erreichen, besteht wohl kaum eine Chance, dass sie die Lücke füllen können, die Russland zurückgelassen hat.

Es gibt verschiedene Gründe für die niedrigen Fördermengen. So sind beispielsweise die größten Vorkommen Angolas bereits über ihre Höchstfördermenge hinweg. Wenn in Angola nicht in den nächsten Jahren neue große Ölvorkommen erschlossen werden, wird die Produktion des Landes bis 2028 auf 500 Barrel pro Tag sinken. Algerien hat mit ähnlichen Problemen zu kämpfen: dort sank die Fördermenge von 1,7 Millionen Barrel pro Tag im Jahr 2005 auf 1,3 Millionen im Jahr 2019.

 Eine Steuersenkung für den staatlichen algerischen Öl- und Gaskonzern und seine internationalen Partner – BP, Total und ExxonMobil – hatte nicht den gewünschten Effekt und der Sektor steht noch immer vor der großen Herausforderung, nicht genug Geld für Investitionen in die Exploration und Erschließung neuer Lagerstätten zu haben.

In Libyen ist die Produktion ebenfalls rückläufig, jedoch aus einem anderen Grund: der Konflikt, der das Land seit 2011 spaltet, hat die Ölförderung um 90 Prozent zusammenbrechen lassen, von 1,2 Millionen Barrel täglich auf 100-200 000. Trotzdem gehört Libyen nach wie vor zu den fünf größten Ölproduzenten Afrikas, doch der laufende Konflikt verhindert eine Steigerung der Fördermenge, obwohl das Land seit 2016 vom Quotensystem der OPEC freigestellt ist.

Ägypten plant eine Erhöhung seiner Fördermenge und bereitet sich auf einen großen Investitionsschub vor, doch die geförderte Menge ist noch niedriger als die der führenden drei afrikanischen Ölstaaten.

Ein großes Hindernis für den Ausbau der afrikanischen Ölindustrie, einer verstärkten Suche nach neuen Lagerstätten und der effektiven Ausbeutung der bestehenden Vorkommen sind die politische Instabilität und die fehlenden Sicherheitsgarantien für die Beschäftigten der Branche in vielen Ländern.

So schaden zum Beispiel in Libyen nicht nur die Kampfhandlungen und die Blockaden von Förderstandorten der Ölbranche, sondern auch das Unvermögen der Konfliktparteien, einen nationalen Haushalt zu verabschieden, der jedoch Voraussetzung wäre für die Modernisierung der veralteten und beschädigten Infrastruktur.

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Was Westafrika anbelangt, so fanden dort in den letzten Jahren fünf Umstürze statt und die Mehrheit der dortigen Länder hat mit extremistischen Gruppierungen zu kämpfen. In Nigeria finden häufig Terroranschläge statt. Bewaffnete Konfliktparteien bilden dort eine ständige Bedrohung für die Förderinfrastruktur sowie für die dort anwesenden Arbeiter, besonders im Südosten des Landes. Terroristen entführen in Nigeria nicht nur Menschen und sabotieren Pipelines, sondern zapfen auch illegal Öl aus den funktionierenden Pipelines ab.

Bei der Beratungsfirma McKinsey geht man davon aus, dass auch die hohen Förderkosten in Afrika und die sich daraus ergebenden hohen Investitionsbeträge ein ernstzunehmendes Hindernis für die Ausweitung des Ölexports und die Bindung der dafür notwendigen Investoren sind. Die Erschließungs- und Betriebskosten beim Öl und Gas liegen in Afrika durchschnittlich um 15-20 Prozent über dem weltweiten Durchschnitt. Es ist davon auszugehen, dass die Kosten weiter steigen werden, was sich zweifellos auf die Wettbewerbsfähigkeit des afrikanischen Öls und Gases auswirken wird.

Laut einer Statistik von PricewaterhouseCoopers haben die Probleme auf dem afrikanischen Kontinent dazu geführt, dass die Ölförderung 2019 deutlich zurückgegangen ist, und zwar um 19 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das entspricht 7,8 Prozent der weltweiten Fördermenge. Die größten afrikanischen Ölproduzenten werden voraussichtlich höchstens 200 000 Barrel Öl pro Tag auf den europäischen Markt bringen können.  In all diesen Ländern herrscht jetzt eine Rezession und es fehlt an Geldern für Investitionen. Ein paar von ihnen befinden sich im Bürgerkrieg. Außerdem gibt es Probleme mit der Logistik, die noch mit der Coronapandemie zusammenhängen. Eine signifikante Erhöhung der Liefermengen scheint zumindest mittelfristig ausgeschlossen.

Die afrikanischen Länder sind genauso daran interessiert wie die Europäer, den Ölexport in Richtung EU auszuweiten. Doch eine ganze Reihe von Problemen in der afrikanischen Ölindustrie sorgt dafür, dass vorläufig noch nicht die Rede davon sein kann, dass das Öl aus Afrika bald seinen Weg nach Europa findet und dass der afrikanische Kontinent ein wichtiger Öllieferant für Europa wird.