Polen will sich zu einer neuen europäischen Energiedrehscheibe entwickeln

Banner mit Polen Flagge

Die polnische Regierung hat angekündigt, die Abhängigkeit des Landes vom russischen Erdgas beenden zu wollen. Der laufende Vertrag mit Gazprom endet im Jahr 2022, und Polen besteht darauf, ihn nicht verlängern zu wollen. Der Vertrag umfasst eine jährliche Liefermenge von mindestens 8,5 Milliarden Kubikmetern russischen Erdgases.

Während Polen immer wieder angekündigt hat, sich vom russischen Gas verabschieden zu wollen, zeigt eine genauere Analyse, dass diese Entscheidung den Plänen entgegensteht, Polen zum osteuropäischen Hauptknotenpunkt für Energietransporte zu machen. Andererseits ist es natürlich auch durchaus vorstellbar, dass Polen absichtlich große Töne spuckt, um die Erwartungen von Gazprom zu dämpfen und sich eine bessere Verhandlungsposition zu verschaffen. 

Polens Erdgasverbrauch nimmt stetig zu, wobei über 80 Prozent des Bedarfs importiert werden muss. Nach Schätzungen von British Petroleum aus dem Jahr 2017 verbraucht Polen 19 Milliarden Kubikmeter jährlich, gegenüber einer Eigenproduktion von 4 Millionen Kubikmetern. Auf Gazprom entfallen momentan 70 bis 80 Prozent aller polnischen Erdgasimporte.  

Zukünftig, darin sind sich polnische und internationale Fachleute einig, wird die Nachfrage in Polen weiter steigen und 2030 wahrscheinlich 25 Milliarden Kubikmeter pro Jahr erreichen. Piotr Naimski, der Chefberater der polnischen Regierung zu strategischen Energiefragen, sagte in der Vergangenheit, Polen wolle seinen Kohleverbrauch durch verschiedene Maßnahmen senken, einschließlich einer übergangsweisen Ergänzung von Kohle durch Erdgas.

Polen wird in den nächsten Jahren mehr Erdgas benötigen. Wenn das Land seinen Status als Transitland stärken möchte, muss es verlässliche und wettbewerbsfähige Lieferanten an sich binden. 

ein alter Polen-Münzzloty über Gasbrenner

Polen strebt seit den frühen 2010er Jahren eine Transformation zu einem regionalen Energieknotenpunkt an und hat im Zuge dessen eine Diversifizierung der Lieferungen angekündigt und sich für mehr Wettbewerb eingesetzt. Spätestens seit 2015, als der erste Flüssiggastanker aus Katar am LNG-Terminal von Swinemünde andockte, versucht Warschau, sich vom russischen Erdgas zu lösen. Seither arbeitet Polen intensiv am Ausbau seiner Transportkapazitäten, um neue Lieferanten anzuziehen, wobei es sich vor allem auf die Flüssiggasmärkte konzentriert hat. 

Polskie LNG, der Betreiber des Flüssiggas-Terminals in Swinemünde, baut momentan das Terminal aus, um die Kapazität von jetzt 5 Milliarden Kubikmetern pro Jahr auf 7,5 Milliarden erweitern zu können. 2022 soll ein neuer Gastank ans Netz gehen. Zusätzlich möchte Polen ein zweites Terminal kaufen: ein schwimmendes Terminal (FSRU) in der Danziger Bucht soll zwischen 2024 und 2025 betriebsbereit sein. 

Polens Regierungspartei PiS kündete 2019 an, die Pläne für eine Ostseepipeline (jährliche Kapazität: 5 Milliarden Kubikmeter) wiederbeleben zu wollen. Die Baltic Pipe soll ab 2022 Erdgas aus Norwegen liefern. Im November 2019 bezog sich die Regierung immer häufiger auf dieses Projekt, und zwar als Alternative zum geplanten schwimmenden Terminal statt als Ergänzung zu ihm. 

Selbst wenn jedoch alle drei großen Projekte voll ausgelastet wären (ohne russisches Erdgas), würde die zur Verfügung stehende Gasmenge gerade einmal ausreichen, um den nationalen Bedarf zu decken – für den Wiederexport bliebe kaum noch Gas übrig. Die Ostseepipeline sieht zwar nach einer praktikablen Alternative zu den russischen Erdgaslieferungen aus, doch gibt es gewisse Bedenken hinsichtlich der Umsetzbarkeit des Projekts.  

Erstens sieht sich Norwegen aus Umweltschutzgründen dazu gezwungen, die Fördermengen seiner Gasfelder langsam zu reduzieren. Obwohl das polnische Staatsunternehmen PGNiG Anteile an einigen dieser Felder erworben hat, um ihre weitere Ausbeutung zu garantieren, wächst das Risiko ihrer Erschöpfung oder Stilllegung von Jahr zu Jahr. 

Zweitens könnten größere Mengen des transportierten Erdgases Polen gar nicht erreichen. Um die Ostsee-Erdgasleitung bauen zu können, hat PGNiG mit dem dänischen Öl- und Gasunternehmen DONG einen Vertrag abgeschlossen. Die Leitung wird über dänisches Staatsgebiet laufen, und Dänemark wird einen Teil des Erdgases kaufen. Für Dänemark könnte diese Lieferquelle von großer Bedeutung sein, da die Förderung auf dem dänischen Tyra-Erdgasfeld in der Nordsee, das 90 Prozent des dänischen Erdgases liefert, aufgrund von Modernisierungsarbeiten momentan still liegt. Anfang der 2020er Jahre soll die Produktion wieder aufgenommen werden, aber interne Quellen zweifeln daran, dass die Arbeiten rechtzeitig beendet sein werden. Aus diesem Grund ist es wahrscheinlich, dass Dänemark einen Großteil des über die Ostseeleitung transportierten Erdgases kaufen wird, sodass für Polen viel weniger als 5 Milliarden Kubikmeter jährlich übrigbleiben. 

Drittens sind die Anfangsinvestitionen bei geschätzten Baukosten von bis zu drei Milliarden Dollar ziemlich hoch. 

Polens scheinbar so starrköpfige Weigerung, die Verträge mit Gazprom zu verlängern, erscheint plötzlich weitaus rationaler, wenn es nicht darum geht, die russischen Lieferungen zu beenden, sondern darum, einen besseren Preis aushandeln zu können – Polen ist seit langem unzufrieden mit den “unverhältnismäßig hohen” Transitpreisen von Gazprom. 

Im November 2019 sagte Polens Finanz- und Entwicklungsminister Jerzy Kwiecinski, dass es nicht nur darum gehe, die Importe aus Russland zu beenden, sondern auch darum, faire Bedingungen zu erzielen: „Die finanziellen Bedingungen werden entscheidend sein, aber wir können es nicht zulassen, dass wir für das Gas, das wir (bei Gazprom) kaufen einen der höchsten Preise der Welt bezahlen.“

Trotz Kwiecinskis Schätzungen sprechen die Ergebnisse einer vergleichenden Analyse der europäischen Importpreise für amerikanisches, norwegisches, katarisches und russisches Gas für sich: im Jahr 2017 berechnete Gazprom den europäischen Verbrauchern durchschnittlich 180-190 US Dollar je 1000 Kubikmeter. Die Exportpreise der amerikanischen, norwegischen und katarischen Lieferanten lagen bei 280, 190 und 300 US Dollar. 

Hinzu kommt, dass LNG im Gegensatz zu natürlichem Erdgas transportiert und wiederverdampft werden muss; hierdurch steigt sowohl das Risiko, als auch der Preis für die Verbraucher. 

Polen ist ein Land im mittleren Einkommensbereich, weshalb seine Regierung vermutlich kein Interesse daran hat, die Position des Landes durch eine Erhöhung der lokalen Brennstoffpreise in Gefahr zu bringen. Deswegen wird relativ günstiges Erdgas aus Russland oder Norwegen im Land verteilt werden. Der Export wird hauptsächlich teures amerikanisches Flüssiggas umfassen, was sich auf die Exportpreise auswirken wird. So kann Polen günstige Konditionen für seine Bevölkerung sicherstellen und sich gleichzeitig als wichtigster Wegbereiter für amerikanisches Gas in Europa positionieren. Zwar wäre dies für Polen eine vorteilhafte Position, aber es wäre fraglich, ob die europäischen Partner des Landes mit dieser Vorgehensweise einverstanden wären.