Die deutsche Energiebranche wird grüner, doch noch weiß keiner, was das kosten wird

Die Umwelt- und Klimapolitik war eines der wichtigsten Themen des Bundestagswahlkampfs 2021, und die Grünen wollen es jetzt wie erwartet zum Kernstück der Koalitionsvereinbarung machen. Wie genau jedoch die neue Energiepolitik Deutschlands vor dem Hintergrund eines beschleunigten Ausstiegs aus der Kohle aussehen wird, wissen noch nicht einmal die künftig dafür zuständigen Minister. Im Dezember soll die Regierung stehen, dann soll es auch Klarheit über den Energiesektor geben.

Die Verhandlungen über eine Koalition aus SPD, Grünen und FDP laufen planmäßig und bislang ohne große Skandale oder den Ausstieg einzelner Politiker. Nach dem Wahlsieg am 26. September haben die Vertreter der drei Parteien am 15. Oktober die Sondierungsgespräche beendet. Deren Ergebnis war ein zwölfseitiges Dokument, auf dessen Grundlage die Parteien in die eigentlichen Koalitionsverhandlungen gegangen sind.

Die wichtigsten Themen sind die Digitalisierung Deutschlands und die Klimapolitik. Das erste Thema ist relativ simpel: schon lange gibt es viel Kritik an der mangelhaften Internet- und Mobilnetzabdeckung sowie der entsprechenden Infrastruktur sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich. Das Thema Klima ist komplexer. Aus dem Dokument geht hervor, dass sich die Verhandlungspartner außer auf den gemeinsamen Wunsch, das Klima zu schützen, lediglich auf einige wenige konkrete Aspekte haben einigen können, und dies nur unter Vorbehalt.

Ein Beispiel ist die Kohleverstromung. In dem Dokument heißt es, der Ausstieg aus der Kohle solle nicht wie bislang geplant 2038 stattfinden, sondern bereits früher. Die Formulierung ist jedoch schwammig: „idealerweise gelingt das schon bis 2030“. Erreicht werden soll dies durch den Ausbau der erneuerbaren Energiequellen und mit Hilfen moderner Gaskraftwerke. Es soll eine gesetzliche Solaranlagenpflicht für alle Dächer von Neubauten geben, ob sie nun privat oder gewerblich sind. Zwei Prozent der Fläche Deutschlands sollen für Windparks reserviert werden. Die EU plant, ab 2035 nur noch CO2-neutrale Autos zuzulassen; in Deutschland soll das noch schneller gehen. Die voraussichtlichen Regierungspartner wollen Deutschland zum „Leitmarkt für Elektromobilität“ machen.

Beobachtern fiel sofort auf, dass das umstrittene Thema der Gaspipeline Nord Stream 2 im Dokument nicht erwähnt wird. Es heißt darin jedoch, die Koalitionspartner wollten „die Energieversorgung für Deutschland und Europa diversifizieren“ und dass bei entsprechenden Projekten in Deutschland europäisches Energierecht gelte. Das ist der einzige Absatz des Dokumentes, der mit dem Thema Nord Stream 2 in Zusammenhang gebracht werden kann.

Nord Stream 2 könnte jedoch durchaus zum Stein des Anstoßes werden und Sand ins Getriebe der Koalitionsverhandlungen streuen. Die Pipeline ist bekanntlich innerhalb aller drei Parteien umstritten. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, der wahrscheinlich an der Spitze der neuen Regierung stehen wird, hält sich an die Linie der bisherigen Bundesregierung und bezeichnet Nord Stream 2 als Wirtschaftsprojekt mit politischer Komponente. Scholz ist davon überzeug, dass die Pipeline fertiggestellt und in Betrieb genommen werden muss, dass der Gastransport durch die Ukraine aufrechterhalten werden muss und dass man, falls Moskau über Nord Stream 2 Druck auf Kiew ausüben sollte, die Pipeline einfach stilllegen könne.

Was FDP-Parteichef Christian Lindner von Nord Stream 2 hält, ist bislang noch nicht ganz klar geworden. Sein Stellvertreter Wolfgang Kubicki jedoch ist für die Pipeline. Laut Quellen bei den Koalitionsverhandlungen möchte Lindner, dass Kubicki seinen Posten als Bundestags-Vizepräsident behält – entsprechende Absprachen sollen bereits getroffen worden sein.

Die Haltung der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock jedoch könnte die Koalitionsverhandlungen in Schwierigkeiten bringen: sie ist eine erklärte Gegnerin der Pipeline. Baerbock möchte die Betriebserlaubnis für Nord Stream 2 verhindern und beruft sich hierbei auf europäisches Recht, laut dem der Betreiber einer Pipeline nicht gleichzeitig auch der Gaslieferant sein darf. Außerdem beschuldigt Baerbock Moskau unter anderem der Preismanipulation auf dem Gasmarkt, was jedoch von der Bundesregierung zurückgewiesen wird. Aus dem Bundeskanzleramt und dem Wirtschaftsministerium hieß es wiederholt, dass Moskau seinen vertraglichen Verpflichtungen nachkomme und dass man in Berlin nicht von einer Einflussnahme des Kremls auf den Gaspreis ausgehe.

Im Gegensatz zu Nord Stream 2 hat die Kohlepolitik durchaus direkten Einfluss auf die deutsche Bevölkerung. Zweifellos unterstützen die Grünen einen verfrühten Kohleausstieg bis 2030. Dies gilt jedoch wohl kaum für die östlichen Bundesländer. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer äußerte sich kritisch zu den Plänen und bezeichnete sie als „Gnadenstoß“ für die Lausitz, wo es noch etwa 8600 Kohlekumpel gibt. Die Zeit bis zum ursprünglich vorgesehenen Ausstiegsjahr 2038 benötige man, um neue Arbeitsplätze anzusiedeln und Infrastruktur aufzubauen.

Die fehlende Konkretisierung beim Thema Energie in den Koalitionsverhandlungen kommentierte Rainer Baake, ehemaliger Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Energieexperte und jetziger Vorsitzender der Stiftung Klimaneutralität in der Tagesschau so:

„Es werden viele wichtige Themen angesprochen. Aber es ist vieles noch unkonkret. Und insofern kann man sagen, dass das, was bisher drinsteht, nicht geeignet ist, das Klimaziel bis 2030 zu erreichen.“

Laut den Plänen der scheidenden Bundesregierung sollen die CO2-Emissionen bis 2030 um 65 Prozent gesenkt werden. Dass Baake recht hat, bestätigt ein Bericht des Umweltministeriums, der im August auszugsweise im Handelsblatt veröffentlicht wurde. Darin heißt es, dass bis zu der genannten Frist lediglich eine Reduzierung um 49 Prozent möglich sein wird.

Bekanntlich nimmt an den Koalitionsverhandlungen auch die SPD-Politikerin Kathrin Michel teil, die selbst aus der Lausitz stammt und sich gegen die Bezeichnung der dortigen Bergleute als „Klimakiller“ wehrt. Der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke verhandelt ebenfalls mit und gilt nicht als Verfechter eines verfrühten Kohleausstieges.

Noch ist nicht bekannt, inwieweit die Uneinigkeit unter den Politikern zu Verzögerungen bei den Verhandlungen führen wird. Im Dezember soll klar sein, wer der neuen Regierung vorsitzen wird. Die Verhandlungen werden jetzt in themenbezogenen Arbeitsgruppen fortgesetzt, und die endgültige Zusammensetzung der Regierung genau wie auch der Energiepolitik entscheidet sich erst mit der neuen Koalitionsvereinbarung.