Die ganze Welt schaut aufs Methan

2021 kam es weltweit zu solch umfassenden Umweltproblemen, dass dadurch sogar das Coronavirus an den Rand gedrängt wurde, das Hauptthema der letzten zwei Jahre. Vor dem Hintergrund eines außergewöhnlich kalten Winters und eines heißen und trockenen Sommers, die beinahe auf der gesamten Nordhalbkugel für Umweltkatastrophen sorgten, wird international der Ruf nach baldigen neuen Maßnahmen zur Rettung der Umwelt immer lauter. Im Kampf gegen den Klimawandel und das CO2, das in den letzten Jahren praktisch als Hauptfeind der Menschheit galt, wendet man sich jetzt verstärkt einem neuen „Bösewicht“ zu – dem Methan.

Methan oder CH4 ist ein Hauptbestandteil von Erdgas und gilt als ein sehr viel stärkeres Treibhausgas als CO2. Verglichen mit CO2 bleibt Methan allerdings nur relativ kurz in der Atmosphäre. Früher ging man davon aus, dass es zwar großen Schaden anrichtet, dieser aber nicht mit den langfristigen Folgen von CO2 vergleichbar ist.

Zahlreiche neue Forschungsergebnisse deuten jetzt jedoch darauf hin, dass der unkontrollierte Ausstoß von Methan doch einen signifikanten Beitrag zum Treibhauseffekt leistet. Methanemissionen entstehen in der Landwirtschaft (genauer gesagt bei der Viehzucht), auf die in manchen Regionen bis zu 50 Prozent des Methanausstoßes entfallen, sowie bei vielen Herstellungsverfahren und in natürlichen Prozessen. Auch praktisch jede Anlage der Gas-, Kohle- und Ölindustrie stößt Methan aus. Die Internationale Energieagentur IEA weist darauf hin, dass 2020 etwa ein Drittel aller Methanemissionen, insgesamt 120 Millionen Tonnen, in irgendeiner Weise auf fossile Brennstoffe zurückgeführt werden konnte.

Internationale Maßnahmen

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Im August 2021 veröffentlichte der Weltklimarat IPCC eine Studie, laut der Methan für mindestens ein Viertel der bislang aufgetretenen Erderwärmung verantwortlich sein könnte. Daher könnte der Kampf gegen die Methanemissionen, von denen die Hälfte vom Menschen verursacht wird, in den kommenden Jahrzehnten die entscheidende Maßnahme gegen den Klimawandel sein. Das Thema Messung und Kontrolle der Methanemissionen genießt mittlerweile weltweit große Aufmerksamkeit, und immer mehr Länder nehmen das Thema in ihre Emissionsreduktions- und Klimaneutralitätsstrategien auf.

So forderten auch die Abgeordneten des Europäischen Parlaments in ihrer Plenarversammlung am 21. Oktober mehrheitlich verbindliche Ziele für die Reduzierung der Methanemissionen. Nach der Abstimmung sagte die Berichterstatterin Maria Spyraki (EVP, Griechenland): „Während die katastrophalen Folgen der beispiellosen Überschwemmungen und Waldbrände dieses Sommers noch bewertet werden, müssen wir unseren Einsatz im Kampf gegen Extremwetterereignisse erhöhen. Wir brauchen schnell wirksame Maßnahmen gegen den Klimawandel! Wir müssen sofort handeln und bei der Reduzierung der Treibhausgasemissionen konkrete Ergebnisse erzielen, um die Menschheit und unseren Planeten jetzt und für die Zukunft zu schützen. Mit der Festlegung von verbindlichen Zielen für den Methanausstoß kann die EU eine Vorreiterrolle in der Welt spielen.“

Die Climate and Clean Air Coalition (CCAC) sowie das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) haben darüber hinaus das Programm Global Methane Assessment ins Leben gerufen. Eine Schlussfolgerung der Arbeiten lautet bereits jetzt, dass eine baldige Reduzierung des vom Menschen verursachten Methanausstoßes um 45 Prozent die schlimmsten Szenarien der Erderwärmung verhindert kann. Des Weiteren könnten so jährlich weltweit 255 000 vorzeitige Todesfälle, 775 000 Krankenhausbesuche aufgrund von asthmatischen Beschwerden, 73 Milliarden verlorene Arbeitsstunden aufgrund extremer Hitze und 26 Millionen Tonnen Ernteverluste vermieden werden.

Eine der bislang ehrgeizigsten Maßnahmen ist die von der EU und den USA ins Leben gerufene Selbstverpflichtung Global Methane Pledge. In der gemeinsamen Erklärung heißt es, es sei unvermeidlich, den weltweiten Methanausstoß bis 2030 um 30 Prozent im Vergleich zu 2020 zu reduzieren. Mit Stand Oktober 2021 haben weitere 24 Länder angekündigt, sich dieser Absichtserklärung anschließen zu wollen, darunter Deutschland, Frankreich und Kanada. Mittlerweile sind an der Initiative neun der 20 größten Methanemittenten der Welt beteiligt.

Der US-amerikanische Klimagesandte John Kerry unterstrich, dass es sich bei der Reduzierung um ein weltweites Ziel handele, das dementsprechend auch gemeinsam erzielt werden müsse, was wiederum bedeute, dass die einzelnen Unterzeichnerstaaten das Ziel selbst nicht unbedingt erreichen müssten. “Jedes Land beginnt auf einem anderen Niveau, aber alle werden tun, was sie können, um die Methanemissionen zu reduzieren,” so Kerry. Es wird erwartet, dass diese Maßnahmen die Erderwärmung bis 2050 um mindestens 0,2 Grad Celsius reduzieren können. Allerdings machen drei der größten Emittenten – China, Russland und Indien – bislang noch keine Anstalten, sich der Initiative anzuschließen.

Offiziell wurde die Global Methane Pledge auf dem Gipfeltreffen der UNO-Klimakonferenz COP-26 ins Leben gerufen, die vom 31. Oktober bis zum 12. November in Glasgow stattfand. Im Vorfeld des Gipfeltreffens erklärten viele Sachverständige, es handle sich dabei um einen Wendepunkt in der weltweiten Klimapolitik. „In Glasgow wird wahrscheinlich die Stunde des Methans schlagen“, so drückte es Fred Krupp aus, der Präsident der amerikanischen nichtstaatlichen Umweltorganisation Environmental Defense Fund.

Zusätzlich haben über 20 private Geldgeber insgesamt mehr als 223 Millionen Dollar für die Umsetzung der Global Methane Pledge zugesagt. Darunter so namhafte Institutionen wie Bloomberg Philanthropies, die IKEA Foundation, die High Tide Foundation und viele andere. Es handelt sich um den bislang größten privaten Beitrag zur Methanreduzierung, wodurch dieser Spendenbereich stark anwächst. In den Unterzeichnerländern der Selbstverpflichtungserklärung sollen mit diesen Mitteln Maßnahmen der Zivilgesellschaft, der öffentlichen Hand und der Wirtschaft ins Leben gerufen und unterstützt werden.

Erfahrungen aus der Vergangenheit mit solchen gebündelten Privatinvestitionen machen Grund zur Hoffnung. 2016 führte das schnelle Agieren von 18 Geldgebern zur Einrichtung eines Fonds mit 53 Millionen Dollar Kapital, mit dessen Hilfe der Beschluss von Kigali zur Abänderung des Montrealer Protokolls zum Schutz der Ozonschicht erzielt werden konnte. Diese Mittel trugen dazu bei, dass teilhalogenierte Fluorkohlenwasserstoffe (HFKW) schneller und umfassender abgebaut werden konnten und führten zu einem breiteren Einsatz effizienterer und besserer Kühlsysteme.

Es ist jedoch schwer abzuschätzen, inwieweit private Mittel bei einem solch umfassenden Problem wie Methan greifen können. Zum Vergleich eine Einschätzung der Investitionen, die notwendig sind, um einen dauerhaften Klimawandel zu verhindern. US-Präsident Joe Biden veranschlagt in seinem Haushaltsvorschlag für 2022 36 Milliarden Dollar für den Kampf gegen den Klimawandel. Diese Summe hält seine Regierung offensichtlich für ausreichend, um die CO2-Emissionen des Landes bis 2030 um 50 Prozent zu verringern.

Die IEA stellte Mitte 2021 ihr Netto-Null-Szenario vor – einen detaillierten globalen Plan für Klimaneutralität und die Abbremsung der Erderwärmung. Der Plan legt konkrete Prinzipien wie zum Beispiel eine Investitionsbremse für neue Anlagen zur Gewinnung fossiler Brennstoffe zugrunde. Die IEA schlägt vor, die weltweiten jährlichen Gesamtinvestitionen im Energiesektor bis 2030 auf 5 Billionen Dollar hochzuschrauben. Diese Zahl basiert auf einer Analyse, die die Agentur gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds durchgeführt hat.

Andere Pläne für ein Netto-Null-Szenario kommen auf Zahlen ähnlicher Größenordnung. Die Internationale Organisation für erneuerbare Energien (IRENA) zieht die notwendigen Investitionen auf das laufende Jahrzehnt vor und kommt auf ein jährliches Volumen von 5,7 Billionen Dollar bis 2030. Bloomberg New Energy Finance (BNEF) schätzt die bis 2050 jährlich notwendigen Investitionen auf 3,1 bis 5,8 Billionen Dollar.

Wieviel Geld wird nötig sein, um die vom Menschen verursachten Methanemissionen zu unterbinden? Wie die Erfahrung im Kampf gegen den Klimawandel zeigt, wird die Welt auf diese Frage erst nach einer genauen Analyse des Problems und einer Überwachung der potentiell gefährlichen Anlagen auf der ganzen Welt eine Antwort finden können.

Aufspüren der Gaslecks

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Was man nicht messen kann, kann man nicht verhindern. Bei der Überwachung von austretendem Methan spielt Satellitentechnologie eine wichtige Rolle. Satelliten in einer erdnahen Umlaufbahn können mit hoher geografischer Genauigkeit aktuelle Informationen über erhöhte Konzentrationen bestimmter Stoffe bereitstellen. In letzter Zeit taucht in den Medien immer wieder die Analysefirma Kayrros auf, die 2021 mehrfach Schlagzeilen machte, indem sie mit Hilfe von Satellitendaten Methanlecks und die Urheber derselben in Ländern wie den USA und Südafrika bis hin zu Russland und Turkmenistan enthüllte. Es gibt laut Kayrros jederzeit etwa 100 große Methanlecks weltweit, neben vielen kleineren, die aber auch einen beträchtlichen Beitrag zur Gesamtmenge liefern. Der russische Gasriese Gazprom sah sich nach aufsehenerregenden Berichten in den Medien gezwungen zuzugeben, dass bei einer seiner Anlagen in Tatarstan im Juni 2021 riesige Mengen Methan ausgetreten waren. Trotzdem umfasste dieses Leck nur einen Bruchteil der gigantischen offiziellen Treibhausgasemissionen des Unternehmens. Es kommen jedoch immer mehr Experten zu dem Schluss, dass die offiziellen Angaben zu Methanlecks weltweit sowieso weit entfernt sind von den tatsächlichen Mengen.

Der Erdgassektor, und ganz besonders seine Giganten wie Gazprom, könnten zur Zielscheibe eines entscheidenden Schlages im Kampf gegen die Emissionen werden, der jetzt wieder auflebt. Früher argumentierte die Branche in ihrem Versuch, sich ihren Platz in der Zukunft zu sichern, immer damit, dass Methan der beste Übergangsbrennstoff sei, da es in riesigen Mengen verfügbar sei und bei seiner Verbrennung nur wenig CO2 freigesetzt werde. Jetzt jedoch werden international immer mehr Stimmen laut, die fragen: Übergang wohin? In den letzten Jahren wurde diese Annahme auch von mehreren Studien in Frage gestellt, vor allem auch durch die Berücksichtigung der Verluste während der Produktion.

Die Sachverständigen sind sich darin einig, dass die Reduzierung der Methanemissionen größtenteils von wirksamer Überwachung abhängt. Als Reaktion auf den jüngsten Bericht der Internationalen Energieagentur sagte Dr. Abigail Martin von der University of Sussex Business School:

Die im Bericht der IEA aufgeführten Ansätze gehen von der Annahme aus, dass wir die Methanemissionen wirksam überwachen können. Der Großteil der Emissionen stammt von einer relativ kleinen Gruppe von ‚Superemittenten‘, gegen die man theoretisch gut vorgehen könnte.

In der Praxis ist es jedoch so, dass niemand genau weiß, wo und warum wieviel Methan ausgestoßen wird. Methanemissionen, egal ob sie aus Lecks stammen oder abgelassen werden, werden nur zu einem sehr geringen Grad erfasst, wodurch die Behörden zu niedrige Zahlen gemeldet bekommen. Das Ergebnis ist, dass die jetzigen Ziele höchstwahrscheinlich von einem unterschätzten Problem ausgehen.“

Die IEA geht davon aus, dass etwa 70 Prozent der Methanemissionen im Öl- und Gassektor technisch vermeidbar sind und sogar Geld einbringen könnten, wenn das Methan abgeschieden und für die Energiegewinnung eingesetzt würde. Es besteht jedoch die Befürchtung, dass die Unternehmen dies nur sehr zögerlich tun werden und damit die Situation weiter verschlimmern werden

Aus diesen Gründen wird die Welt, bevor sie den Kampf gegen das Methan aufnehmen kann, erst einmal noch viel tun müssen, um den genauen Gegner in diesem Kampf zu identifizieren.