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Die EU hat im vergangenen Jahr einige entscheidende Schritte zur Verringerung der Abhängigkeit von russischen Energielieferungen und zur Diversifizierung der Öl- und Gaslieferanten unternommen. So unterzeichnete Brüssel im Juli eine Absichtserklärung mit Aserbaidschan über eine strategische Energiepartnerschaft. Die Erklärung sieht vor, dass in den kommenden fünf Jahren eine mengenmäßige Verdopplung der Erdgas-Lieferungen aus Aserbaidschan stattfindet und dass das Land der EU ab 2027 mindestens 20 Milliarden Kubikmeter jährlich liefert.
Die Absichtserklärung wird schon jetzt erfolgreich umgesetzt: Italien, Griechenland, Bulgarien und Rumänien kaufen bereits aserbaidschanisches Gas. Ab dem vierten Quartal 2023 soll auch Ungarn beliefert werden. Nach Angaben des aserbaidschanischen Energieministeriums hat das Land allein im letzten Jahr den Export nach Europa bereits stark hochgeschraubt – um fast 40 Prozent.
Ein längerfristiger Anstieg der Importe aus Aserbaidschan liegt allerdings aus verschiedenen Gründen nicht auf der Hand. Die meisten Experten sind sich darin einig, dass das größte und praktisch unüberwindliche Hindernis auf dem Weg zu mehr Exporten die Tatsache ist, dass sowohl die Transadriatische Pipeline (TAP) als auch die Transanatolische Pipeline (TANAP), die beiden Transportwege von Aserbaidschan nach Europa, bereits jetzt fast komplett ausgelastet sind. Die maximale Kapazität der TAP liegt bei nur 10 Milliarden Kubikmetern Gas im Jahr, die der TANAP bei 16 Milliarden.
Aserbaidschan ist zu Gesprächen über eine Ausweitung des Südlichen Gaskorridors und vor allem auch der TAP bereit. Präsident Ilham Alijew erklärte, sein Land berate sich bereits mit seinen Partnern über eine Kapazitätssteigerung der TANAP von 16 auf 32 Milliarden Kubikmeter und der TAP von 10 auf 20 Milliarden Kubikmeter. „Ohne diese Maßnahmen wird es schwierig, mehr Gas zu liefern“, so Alijew.
Energieminister Parwis Schachbasow bestätigte Anfang Juni auf dem Energieforum in Baku, dass zusätzliche Lieferungen über die jetzigen 11,4 Milliarden Kubikmeter hinaus einen Ausbau des Südlichen Gaskorridors voraussetzen und dass hierfür eine Finanzierung seitens der Gaskunden nötig sei. „Hierfür ist ein gut abgestimmtes Vorgehen unserer Partnerländer nötig“, erklärte der Minister.
Dieser Aufforderung schlossen sich Ungarn, Rumänien, Bulgarien und die Slowakei an. Da diese Länder nicht einmal ein Zehntel der nötigen Investitionen für die Erweiterung des Südlichen Gaskorridors aufbringen können, wandten sie sich mit der Aufforderung an die Europäische Kommission, Gelder für den Ausbau der Gastransportinfrastruktur aus der kaspischen Region nach Europa bereitzustellen.
Es geht bei den notwendigen Investitionen allerdings um so hohe Beträge, dass sich kaum ein Experte vorstellen kann, dass die Maßnahmen wie angekündigt bis 2027 durchgeführt sein werden. Zu diesem Schluss kommt beispielsweise ein Bericht des Insitute for Research in Economic and Fiscal Issues. Darin heißt es: „In der Theorie sieht alles gut aus. Aserbaidschan wird mehr Gas verkaufen und damit mehr Staatseinnahmen haben, während Europa mehr Gas erhält. Es ist jedoch gut möglich, dass Aserbaidschan gar nicht in der Lage sein wird, die anvisierten Mengen zu liefern, und es ist auch nicht unmittelbar ersichtlich, wie die bestehenden Pipelines das zusätzliche Gas transportieren sollen.“
Die Autoren des Berichts führen weiter aus, dass ein Ausbau der existierenden Pipelines gewaltige Ausgaben mit sich brächte. „Allein die Verdopplung der Kapazität der TAP würde mindestens 1,5 Milliarden Euro kosten. Die TANAP ließe sich von 16 auf 32 Milliarden Kubikmeter ausbauen, dazu müssten jedoch vier zusätzliche Verdichterstationen gebaut werden. Die TANAP ist die längere (1811 km) und dickere (1,2 m Durchmesser) der beiden Pipelines und erfordert größere Investitionen als die TAP.“
Das Energieforschungsinstitut der Universität Oxford kommt in seiner Bewertung auf ähnliche Zahlen. In einem Bericht des Instituts heißt es, der Ausbau der TANAP auf 32 Milliarden Kubikmeter pro Jahr und der Bau von fünf zusätzlichen Verdichterstationen für den Transport der 10 zusätzlichen Milliarden Kubikmeter nach Europa würde Investitionen von etwa vier Milliarden US-Dollar erfordern. Die Autoren gehen davon aus, dass sich die Gesamtkosten für die 20 Milliarden Kubikmeter, die Aserbaidschan der EU zugesagt hat, auf 7 Milliarden US-Dollar jährlich belaufen würden.
Laut Gubad Ibadoghlu, Senior Visiting Fellow an der London School of Economics and Political Science, ist die Ausweitung der Pipelinekapazitäten mit riesigen finanziellen „Herausforderungen” verbunden. Die notwendigen Investitionen würden auf mehrere Milliarden US-Dollar veranschlagt, was für Investoren, die beteiligten Unternehmen und die Käufer des Gases ein finanzielles Problem sei.
In Baku gehe man davon aus, dass ein Teil der Mittel von internationalen Investitionsbanken kommen wird und ein weiterer von der aserbaidschanischen Regierung in Form von Anleihen des staatlichen Ölfonds SOFAZ. Der stellvertretende Außenminister Aserbaidschans, Elnur Mamedow, erklärte gegenüber der Financial Times, dass Baku den Export von Erdgas nach Europa nur dann verdoppeln könne, wenn in das Pipelinesystem investiert und langfristige Lieferverträge geschlossen würden.
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Die Experten von der Universität Oxford führen in diesem Zusammenhang einen ganzen Katalog finanzieller Risiken an, die dazu führen könnten, dass potenzielle Investoren wie die international agierenden Banken von diesen riskanten Investitionen absehen. Ein Risiko ist die aserbaidschanische Wirtschaft, die fast vollständig von den Erdgaspreisen abhängt. Im Bericht des Oxforder Instituts heißt es, die Gaspreise lägen jetzt zwar auf einem hohen Niveau, hätten jedoch in der Vergangenheit immer stark geschwankt. Diese Schwankungen lägen außerhalb des Einflussbereichs des Kreditnehmers.
Das Hauptrisiko für die Finanzierung des Pipelineausbaus besteht möglicherweise in der heutigen Politik der EU, die auf den verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien ausgerichtet ist. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Politik bereits 2027 Früchte abwirft, womit die Energieprobleme der EU zumindest teilweise gelöst wären. Die potenziellen europäischen Käufer hätten dann weniger Interesse an Gas als früher.
Zu den anderen Problemen, die einer Umsetzung der Absichtserklärung zwischen Aserbaidschan und der EU im Wege stehen, gehört laut Gubad Ibadoghlu die steigende Nachfrage nach Gas in Aserbaidschan selbst sowie das unzureichende Fördertempo. Ibadoghlu glaubt, dass diese Faktoren unter Umständen zu einer Aufhebung der Erklärung führen könnten.
Die Lösung all dieser Probleme erfordert viel Zeit und finanzielle Ressourcen. So wird der Plan, russisches Gas durch aserbaidschanisches zu ersetzen, für die Europäer wahrscheinlich zunächst ein Traum bleiben. In Brüssel ist man sich darüber vermutlich sehr wohl im Klaren. Darauf deutet die Entscheidung der EU-Kommission hin, den Mitgliedstaaten ein weiteres Jahr für die Umsetzung des Gaseinsparungsplans zu geben. Umso mehr als Kadri Simson, die Kommissarin für Energie, den Europäern aufgrund der ausbleibenden Lieferungen aus Russland bereits ein „schwieriges Jahr“ vorhergesagt hat. Das ist nicht verwunderlich, denn 2021, vor dem Ukrainekrieg, importierte die EU 155 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Russland. 2023 werden voraussichtlich lediglich noch 23-25 Milliarden Kubikmeter geliefert werden. Solange das russische Gas noch nicht komplett ersetzt werden kann, dürfen sich die Europäer nicht entspannen, sondern müssen sich mit allen Mitteln für den nächsten Winter und die Kälte rüsten.