Die Dekarbonisierung der deutschen Wirtschaft: Rückkehr zu erneuerbaren Energiequellen

Deutschland ist bestrebt, den Plan zur Entwicklung des nationalen Energiesektors konsequent und rigoros umzusetzen, um bis 2022 aus der Atomenergie und bis 2038 aus der Kohleverstromung auszusteigen. Die Regierung von Bundeskanzlerin Merkel setzt dabei in den kommenden Jahren auf einen Mix aus alternativen Energiequellen und Erdgas. In Gesprächen mit Experten und Entscheidungsträgern in Schlüsselpositionen wird deutlich, dass die Entscheidung über die Dekarbonisierung unvermeidlich ist.

„Bei der Dekarbonisierung geht es um eine langfristige Strategie, die den Ausstieg aus der Kohleverstromung bis spätestens 2038 regelt. Gleichzeitig hat sich Deutschland ambitionierte Ziele im Bereich der erneuerbaren Energiequellen gesetzt. Diese sind bereits jetzt zu entscheidenden Energieträgern geworden. Zwar wird auch Erdgas noch lange Zeit eine wichtige Rolle spielen, aber der Anteil CO2-neutraler Gase wird in der Zukunft wachsen“ erklärte Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der Deutschen Energie-Agentur (DENA) gegenüber dem vom International Sustainable Energy Development Centre (ISEDC) herausgegebenen Energy Bulletin.

Damit hat Kuhlmann gegenüber dem Energy Bulletin den grundlegenden Plan zur Entwicklung des deutschen Energiesektors, an dem die einschlägigen Institutionen arbeiten, grob umrissen, wie dem Korrespondenten im von Peter Altmeier geführten Wirtschaftsministerium bestätigt wurde. Dort heißt es, der Minister trete dafür ein, Deutschland langfristig in die Lage zu versetzen, alle nicht erneuerbaren Energieträger durch umweltfreundliche, erneuerbare Energieträger zu ersetzen, und dies nicht nur bei der Stromversorgung, sondern auch bei der Erzeugung von Wärmeenergie und im Transportwesen. Zu diesem Zweck sei, wie schon Kuhlmann erklärt hatte, „eine Steigerung der Energieeffizienz und ein konsequenter Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energiequellen“ beschlossen worden, fasst man im Ministerium zusammen.

„Das Erdgas hat hierbei eine Übergangsfunktion (dieser Energieträger wird von Industrieunternehmen mit hohem Energiebedarf und von der Wohnungswirtschaft benötigt), langfristig müssen wir unseren Gasbedarf durch CO2-freie Gase, darunter CO2-neutrale Gase, abdecken“, meint eine Vertreterin des Ministeriums. Deutschland unterscheidet sich in dieser Hinsicht tatsächlich von anderen europäischen Ländern, denn hier sind viele Großbetriebe, z. B. große Chemieunternehmen angesiedelt, die einen hohen Energieverbrauch haben.

Ferner sind Deutschlands Pläne im Bereich der Wasserstoffenergie hervorzuheben – im von Altmeier geführten Ministerium sieht man diese bei der künftigen Ersetzung der Atomenergie, der Kohle und in der Folge auch des Erdgases als entscheidend an. Laut Aussage der Ministeriumsmitarbeiterin ist Deutschland bestrebt, „weltweit die Nummer 1“ im Wasserstoffenergie-Sektor zu werden und arbeitet aktiv an einer entsprechenden Strategie. Auf welche Art und Weise das Ministerium die nationale Wasserstoffenergie-Strategie (NWS) – mit der die Regeln für eine Zusammenarbeit mit diesem Energiesektor abgesteckt und deutsche Unternehmen, die in diesem Bereich innovativ tätig werden möchten, gefördert werden sollen – genau unterstützen will, teilt es nicht mit. Auch Einschätzungen zur künftigen Kapazität gibt es bisher nicht, die gesamteuropäische Strategie zum Ausbau der Wasserstoffenergie versteht darunter jedoch die Schaffung von Kapazitäten von 6 Gigawatt bis 2024 und von 40 Gigawatt bis 2030.

Auf welche erneuerbaren Energieträger setzt Deutschland nun genau? In erster Linie auf Photovoltaik und Windkraftanlagen, sagt Andreas Kuhlmann. In diese Branchen werden Investitionen fließen, sie werden jetzt und in Zukunft staatlich gefördert. Insgesamt hat sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt, den Anteil erneuerbarer Energien bis 2030 auf 65 % zu erhöhen, und Beobachter gehen davon aus, dass diese Pläne auch umgesetzt werden.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt bezieht Deutschland laut offizieller Statistik etwa 35 % Energie aus erneuerbaren Energieträgern, 37 % aus Kohlekraftwerken und 12 % aus Atomkraftwerken, der Gasanteil beträgt 13 %. Der aus der Kohlekraft stammende Anteil sinkt langsam, wobei die Nutzung der Steinkohle schneller zurückgeht als die der Braunkohle. Dagegen wächst der Anteil der erneuerbaren Energiequellen, wobei die Windkraft an erster Stelle liegt: 17,3 % (2018) der gesamten Energie wird in Windkraftanlagen erzeugt, an zweiter Stelle liegt die Solarenergie mit 7,1 %. Weitere etwa 7,1 % werden aus Biomasse erzeugt, 2,6 % in Wasserkraftwerken. Bei Beibehaltung des jetzigen Kurses der Bundesregierung wird der Atomausstieg in naher Zukunft abgeschlossen sein, und auch das Tempo des Kohleausstiegs wird höchstens noch zunehmen.

Dies bedeutet, dass Deutschland bei der Energieerzeugung allein bis Ende 2022 auf ca. 9 Gigawatt Atomstrom und bis 2030 noch auf weitere 9 Gigawatt Kohlestrom verzichten wird. Wie bereits angemerkt plant die EU jedoch, bis 2024 Wasserstoffenergie-Kapazitäten von 6 Gigawatt zu schaffen und die Kapazitäten von Windkraftanlagen allein in Deutschland auf 5 Gigawatt zu erhöhen. Hinzu kommen weitere Kapazitäten, u. a. aus der Solarenergie. Ein aktuelles Beispiel ist die Schweizer Firma Meyer Burger Technology AG, die im ersten Halbjahr 2021 mit dem Bau des „Solar Valley“ in der Region Bitterfeld-Wolfen beginnen wird. Die Solarmodule sollen laut MDR in der sächsischen Universitätsstadt Freiberg hergestellt werden. Allein dieser Solarpark soll bis 2026 geschätzt 6 Gigawatt Elektroenergie erzeugen, die Investitionen in das Projekt könnten sich auf bis zu eine Milliarde Euro belaufen.

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Die DENA befasst sich gegenwärtig mit einem Forschungsprojekt, in dessen Rahmen Entwicklungsszenarien für ein „grünes Deutschland“ bis 2050 entworfen werden. Die Experten unter der Leitung von Andreas Kuhlmann erforschen dabei die nützlichsten und zweckmäßigsten Verfahren zur Ersetzung der wegfallenden Energiekapazitäten. Um den steigenden Energiebedarf abdecken zu können, müsse die Entwicklung des Sektors zügig voranschreiten, stellt unser Gesprächspartner bei der DENA fest.

„Die Dekarbonisierung führt zu mehr Dynamik bei der Entwicklung der erneuerbaren Energien“, meint er. „Erdgaskraftwerke erzeugen heute ebenfalls weit mehr Strom als noch vor einigen Jahren. Bei Offshore-Windkraftanlagen hat sich die Regierung das Ziel gesetzt, die Kapazität bis 2030 von 15 auf 20 Gigawatt zu erhöhen. Langfristig ist eine Erhöhung auf 40 Gigawatt bis 2040 vorgesehen. Für Windkraftanlagen an Land und für Photovoltaikanlagen werden voraussichtlich nach den Sommerferien neue Ziele benannt“. Nach Einschätzungen von Experten könnten durch Unternehmen und staatliche Subventionen insgesamt mehr als vier Milliarden Euro an Investitionen zusammenkommen.

Hierbei gibt es allerdings ein paar Wermutstropfen: in den Medien erscheinen immer wieder skeptische Meldungen über die Unzufriedenheit deutscher Bürgerinnen und Bürger mit Windkraftanlagen. Andreas Kuhlmann ist überzeugt, dass weltweit kein Land so viel alternative Energie pro Quadratkilometer Fläche erzeugt wie Deutschland, was natürlich zu „schwierigen Diskussionen vor Ort“ führe. „Die Mehrheit der Deutschen befürwortet jedoch nach wie vor die Entwicklung“, meint er.

Was konventionelle Energieträger wie Erdöl und Erdgas betrifft, so sind sie weiterhin im deutschen „Energiemix“ vertreten, aber es stellt sich die Frage, wie man ihren Anteil an der Gesamtenergieerzeugung in Deutschland ändern könnte.

Die Bundesregierung verweist darauf, dass der Erdgasanteil bis auf Weiteres stabil bleiben wird. Bei Zukunft Erdgas geht man davon aus, dass der Erdgasanteil bis 2035 auf 27 % steigen und gemeinsam mit alternativ erzeugten Kapazitäten einen wesentlichen Anteil an der Energiebilanz ausmachen wird – bei erfolgreicher Fortführung des jetzigen Kurses könnte dieser Anteil auf über 70 % steigen.

Deutschland importiert 95 % Erdgas und ist ein wichtiger Knotenpunkt im europäischen Gastransportsystem. Der nationale Import wächst weiterhin, der Gesamtbedarf an Erdgas lag dem Wirtschaftsministerium zufolge 2016 bei 95 Milliarden Kubikmeter. Der Gasanteil aus eigener Produktion ist äußerst gering, 2016 lag er bei lediglich 6 %. Etwa 22 % der Gaslieferungen stammten aus den Niederlanden, 31 % aus Norwegen und 41 % aus Russland und von kleineren Erdgasexporteuren. Außerdem möchte Deutschland genau wie Polen ein bedeutender Standort für die Anlandung und Verteilung von Flüssigerdgas (LNG) werden und dafür eine verzweigte Infrastruktur schaffen – als LNG-Lieferanten kommen nicht nur die USA und Kanada, sondern auch andere Länder in Frage, darunter Russland.

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In der letzten Zeit denkt die EU ernsthaft über die Einführung grenzübergreifender CO2-Regelungen nach. Der beschlossene European Green Deal sieht vor, bereits 2021 Regelungen für einzelne Wirtschaftssektoren einzuführen. Die konkreten Mechanismen sind bisher nicht klar erkennbar, könnten jedoch den Expansionsplänen der USA, die den Europäern Flüssigerdgaslieferungen als Alternative zu russischem Pipeline-Gas anbieten, einen Schlag versetzen.

Experten sind der Auffassung, dass die Methode zur Förderung des Flüssigerdgases, das Fracking, der Umwelt großen Schaden zufügt. Und dies kann dazu führen, dass amerikanisches Flüssigerdgas mit einer „Umweltsteuer“ und mit Zöllen belegt wird. Wegen des Meeres könnte sogar der Import von Flüssigerdgas begrenzt werden, als Antwort auf mögliche Sanktionen Washingtons gegen europäische Konzerne, die am Projekt Nord Stream 2 beteiligt sind. All diese Fragen sind bis jetzt offen, denn wegen des Giftanschlags auf den russischen Oppositionellen Aleksej Navalny hat die EU mit Beratungen über mögliche neue Sanktionen gegen Russland begonnen, und dabei war davon die Rede, dass auch Nord Stream 2 selbst von den neuen Sanktionen betroffen sein könnte, diesmal von Seiten der EU.

Bei der DENA glaubt man jedoch, dass der Gasverbrauch in den nächsten Jahrzehnten sinken könnte, denn Wasserstoff ist im Vergleich zu Erdgas eher klimaneutral und hat daher bessere Perspektiven. So denkt man auch im Ministerium: Langfristig wird durch den technischen Fortschritt und durch Energiesparmaßnahmen ein gewisser Rückgang erwartet. Vorerst jedoch bildet das Erdgas weiter jene „Brücke“, auf der Deutschland aus dem Atomstrom- und Kohlestromzeitalter in eine neue, „grüne“ Epoche hinüberwechseln möchte.

Der Stromverbrauch wird in jedem Fall steigen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass bestimmte Kräfte in der in Deutschland regierenden CDU für eine Art „Rückkehr zur Atomenergie“ plädieren. Im Januar wurde bekannt, dass Wirtschaftsexperten der Partei eine aktivere Teilnahme Deutschlands an einem Programm befürworten, das die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) als Komponente des EU-Rahmenprogramms für Forschung und Innovation „Horizont 2020“ durchführt. Teil dieses EURATOM-Programms sind u. a. Projekte im Bereich der Kernfusion und kleiner modularer Reaktoren (SMR).

Die Bundesregierung hat diese Möglichkeit bisher nicht in Erwägung gezogen. Die DENA z. B. befasst sich nicht mit Fragen der Nutzung solcher Reaktoren.

Klaus Ernst, Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses im Deutschen Bundestag, mit dem Energy Brief sprechen konnte, weiß nichts von derartigen Strömungen innerhalb der CDU, versichert aber, dies sei unrealistisch. „Sie können davon ausgehen, dass es keine echten Pläne zum Wiedereinstieg in die Atomenergie oder zum Stopp des Atomausstiegs geben wird. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist gleich Null“, lautet seine Überzeugung. Die bestätigte auch die Vertreterin des Wirtschaftsministeriums: „Die Regierung hält sich streng an die Pläne zum Atomausstieg“.