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Kasachstan wird langfristig mehr Erdöl nach Deutschland liefern. Schätzungsweise bis zu zwei Millionen Tonnen jährlich, und in der Zukunft vielleicht noch mehr. Das ist das Ergebnis der Gespräche auf höchster Ebene, die Ende September in Berlin stattfanden und an denen Bundeskanzler Olaf Scholz und der kasachische Präsident Kassim-Schomart Tokajew teilnahmen. Auf den ersten Blick erscheint eine solche Vereinbarung zweifellos vorteilhaft für alle Beteiligten. Berlin bekommt vor dem Hintergrund der von der EU gegen Russland verhängten Sanktionen, die den Kauf russischen Erdöls verbieten, wenigstens teilweise eine Alternative zu russischem Öl geboten. Kasachstan steigert seinen Erdölexport und diversifiziert seine Erdöllieferungen – etwas, wonach das Land schon lange strebt. Und sogar Russland zählt zu den Nutznießern, denn die kasachischen Erdöllieferungen laufen über russisches Territorium, durch die Druschba-Pipeline. Aber ist für Berlin tatsächlich alles eitel Sonnenschein oder lauern doch diverse Fallstricke im Verborgenen?
Bis zum Ukraine-Krieg machte der Anteil des „schwarzen Goldes“, den Deutschland aus Russland importierte, 35 Prozent an den deutschen Gesamtimporten aus – ca. 28 Millionen Tonnen von etwas mehr als 80 Millionen Tonnen. Nachdem jedoch die zweite Stufe des Erdölembargos in Kraft getreten war, nahm Deutschland konsequent Abstand vom Kauf russischen Erdöls, und im Januar 2023 wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamts (Destatis) lediglich 3500 Tonnen russisches Erdöl nach Deutschland importiert. Dies macht einen Anteil von gerade einmal 0,1 Prozent an den deutschen Erdöl-Gesamtimporten aus.
Die Einstellung russischer Erdöllieferungen wurde fast vollständig durch den Kauf von Erdöl aus Norwegen, Kasachstan, Großbritannien, den USA und den Vereinigten Arabischen Emiraten kompensiert. Insgesamt importierte Deutschland 2022 ca. 81 Millionen Tonnen Rohöl, während es im Pandemiejahr 2021 81,4 Millionen Tonnen waren. Die deutschen Erdölimporte gehen schon seit 2007 beständig zurück.
Ende 2023 ist der Anteil russischer Erdöllieferungen nach Deutschland auf lächerliche 0,1 Prozent gesunken. Deshalb ist Berlin weiter kontinuierlich auf der Suche nach neuen Importquellen für Erdöl. Der Kauf kasachischen Erdöls ist für Deutschland von besonderer Bedeutung, nicht zufällig sprach sich Olaf Scholz im September für mehr Rohöllieferungen aus Kasachstan aus.
Das erste kasachische Erdöl im Umfang von 20.0000 Tonnen floss im Februar 2023 nach Deutschland. Dieses Erdöl wurde in die Raffinerie in Schwedt geliefert, die bis zu den Ereignissen in der Ukraine russisches Erdöl bezog. Wie der unabhängige internationale Preis-Informationsdienst Argus Media Group, der auf Energie- und Rohstoffmärkte spezialisiert ist, schreibt, ist die Zusammensetzung des kasachischen Erdöls praktisch identisch mit der der russischen Sorte URALS, und so ist es durch seine Charakteristika ideal für die Verarbeitung in der auf diese Sorte spezialisierten Raffinerie in Schwedt geeignet. Dies macht das Erdöl aus Kasachstan für Berlin zweifellos umso attraktiver.
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Diese Raffinerie deckt im Übrigen 95 Prozent der Benzin-, Diesel-, Heizöl- und Kerosinlieferungen nach Berlin, ins Bundesland Brandenburg und den Großteil Nord-Ost-Deutschlands ab. In Schwedt wird auch ein Drittel des Bitumens hergestellt, das für den Straßenbau in Deutschland benötigt wird.
Laut den bestehenden Vereinbarungen sollte Kasachstan Deutschland in diesem Jahr bereits 1,2 Millionen Tonnen Erdöl liefern, doch in der Jahresbilanz wird diese Menge mit 900.000 Tonnen etwas geringer ausfallen. In Astana wird dies mit „technischen Verzögerungen“ erklärt und man verspricht, die Lieferungen nach Deutschland nächstes Jahr bei Bedarf auf 2 Millionen Tonnen zu erhöhen. Darüber hinaus könnte Kasachstan bis zu 6-7 Millionen Tonnen pro Jahr nach Deutschland liefern, wie Anfang dieses Jahres der damalige kasachische Energieminister Bolat Aktschulakow erklärte. Experten zweifeln jedoch daran, dass Astana derart ambitionierte Ziele erreichen kann.
Julian Lee, Erdöl-Analyst bei Bloomberg First Word, weist darauf hin, dass für mehr Lieferungen nach Deutschland schlicht und ergreifend nicht genug kasachisches Öl vorhanden sein könnte. Schon jetzt exportiert Kasachstan jedes Jahr 65 Millionen Tonnen der 89 Millionen Tonnen, die es jährlich fördert. Bereits im März dieses Jahres konnte Astana nicht genug Öl auftreiben, um die europäischen Partner zu beliefern. Auch im Land selbst macht sich der Ölmangel bemerkbar, Kasachstan muss sogar Dieselöl zu hohen Preisen in Russland kaufen. „Obwohl Kasachstan bisher nicht genug Erdöl hat, um den heimischen Bedarf zu decken, erhöht Astana den Export“, stellt Julian Lee fest.
Gleichzeitig geht die Fördermenge in Kasachstan weiter zurück, wie Daten des britischen Energy Institute belegen. Zum Teil liegt dies daran, dass es auf den Ölfeldern der staatlichen Gesellschaft KasMunayGas immer öfter zu Energieunfällen kommt. Theoretisch lässt sich der Erdöl-Export zwar steigern, aber dies nur zu Lasten des heimischen kasachischen Marktes, dem es ohnehin schon nicht besonders gut geht.
Julian Lee merkt an, dass laut offiziellen Angaben von KasMunayGas die meisten kasachischen Ölkontingente im Rahmen bereits bestehender Langzeit-Verträge exportiert werden und dass es praktisch nicht möglich ist, Deutschland das versprochene Öl in vollem Umfang zu liefern, ohne gegen diese Verträge zu verstoßen. „Für Deutschland bleibt fast nichts übrig“, meint der Analyst abschließend.
Ein weiteres Hindernis auf dem Weg zu einer Erhöhung der kasachischen Erdöllieferungen könnte die Position Polens sein. In einem internen Bericht der Betreibergesellschaft des polnischen Streckenabschnitts der Druschba-Pipeline, PERN, den das Unternehmen anlässlich von ihm durchgeführter Untersuchungen erstellen ließ, heißt es, dass das angeblich aus Kasachstan stammende Öl eine Zusammensetzung aufweise, die völlig identisch mit der des russischen Öls sei und sich nicht von dem Öl unterscheiden lasse, das früher aus Russland in die Raffinerie Schwedt floss.
Kasachstan versuchte solche Anschuldigungen frühzeitig zu entkräften, indem es seinem Rohöl bereits im vorigen Jahr einen neuen Marketingnamen gab, KEBCO (Kazakhstan Export Blend Crude Oil), und sich damit von der russischen Ölsorte URALS zu distanzieren versuchte. Unterschiede in der Zusammensetzung von KEBCO und URALS bestehen jedoch nicht, und das weckte den Verdacht Warschaus, dass Berlin unter Umgehung der EU-Sanktionen weiterhin russisches Öl kauft, das als kasachisches ausgegeben wird. Zusätzlich Öl ins Feuer goss die Entscheidung der deutschen Behörden, dem eigenen Zoll zu untersagen, Öllieferungen zu stoppen, wenn sich bei ihrer Kontrolle zeigt, dass das Öl aus einem sanktionierten Land kommt.
Berlin meint dazu, Hauptsache sei doch, dass Kasachstan für dieses Öl bezahlt werde, und nicht Russland. Dagegen wendet Polen ein, dass auch ein solcher Ansatz gegen die EU-Sanktionen verstoße, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass schlussendlich alle Gelder nach Russland fließen – zu groß sei die Nähe zwischen Moskau und Astana. Auf diese Weise wird Deutschland möglicherweise weiterhin russisches Erdöl kaufen, nur auf Umwegen, meint man in Warschau.
Die Erdölliefervereinbarungen zwischen Deutschland und Kasachstan werden auch dadurch überschattet, dass Deutschland weiterhin von Russland abhängig ist: Dadurch, dass die Öllieferungen aus Kasachstan durch die russische Druschba-Pipeline erfolgen, übt Russland weiterhin Einfluss auf Deutschland aus. Laut dem kasachischen Energieminister Almasadam Satkalijew lässt sich bisher schwer abschätzen, in welchem Umfang die Lieferungen erhöht werden – dies wird u.a. auch von Russland abhängen, das die dafür notwendigen Kapazitäten in der Druschba-Pipeline reservieren und darüber hinaus den reibungslosen Transit des kasachischen Öls über sein Staatsgebiet garantieren wird. Das Schicksal der Vereinbarungen zwischen Berlin und Astana hängt demzufolge von Moskaus gutem Willen ab.
„Wir müssen aufmerksam verfolgen, wie Russland sich bei den Lieferungen Kasachstans durch die Druschba-Pipeline verhält“, sagt Harald Haase, Pressesprecher im Wirtschaftsministerium von Schleswig-Holstein. Das Verhalten Russlands sei unvorhersehbar, so Haase.
Julian Lee wird noch kategorischer: „Solange die Raffinerie in Schwedt Rohöl über Transitlieferungen erhält, die durch Russland führen, kann Moskau jederzeit den Hahn zudrehen und Berlin damit seine Bedingungen diktieren.“
Unterm Strich sind es Astana und Moskau, die von den deutsch-kasachischen Vereinbarungen profitieren können. Kasachstan steigert seine Einkünfte dank mehr Energielieferungen nach Deutschland, Russland durch Transiteinnahmen und möglicherweise durch einen umfangreicheren Verkauf eigenen Erdöls nach Kasachstan – wenn denn die Befürchtungen über den Kauf russischen Erdöls „in kasachischem Gewand“ durch Berlin auf Tatsachen beruhen. Was Deutschland betrifft, so muss es erst noch alle Fallstricke finden und umgehen, die bei der Versorgung mit Erdöl aus Kasachstan lauern.