Spanien als mögliche Lösung für die Gassorgen der EU

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Das Land könnte zu einem der wichtigsten europäischen Gasumschlagplätze werden, wenn es gelingt, Infrastrukturengpässe zu überwinden

Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, der Ende Februar ausbrach, erschüttert die gesamte politische Landschaft der EU. Die Erschütterungen erreichen nach und nach alle Märkte und Wirtschaftszweige. Jetzt, wo ihnen das Ausmaß ihrer Abhängigkeit vom russischen Gas bewusst geworden ist, versuchen die Mitgliedstaaten der EU verzweifelt, ihre Gasversorgungssicherheit anderweitig zu garantieren. Unter Fachleuten gilt Spanien als eine mögliche Lösung des Problems. Das Land hat viel Potential als zukünftiger europäischer Gas-Hub und könnte möglicherweise die russische Gaslücke füllen.

Dank seiner Lage auf der iberischen Halbinsel kreuzen sich in Spanien wichtige LNG-Transportrouten. Außerdem ist das Land über eine Pipeline mit Algerien, einem bedeutenden Gasproduzenten, verbunden. Die sechs spanischen LNG-Importterminals machen 27 Prozent der gesamten Regasifizierungskapazität der EU und Großbritanniens aus. Spanien verfügt außerdem über die größte LNG-Speicherkapazität Europas (3,31 Milliarden Kubikmeter), was laut Informationen von Gas Infrastructure Europe in etwa 35% der Gesamtkapazität der EU und Großbritanniens entspricht. Im Januar 2022 waren die LNG-Terminals nur zu 45 Prozent ausgelastet, sodass Spanien seine Importe jederzeit steigern könnte.

Dank dieser umfangreichen Infrastruktur für den Import und die Speicherung von Gas braucht sich Spanien angesichts des Konfliktes in der Ukraine kaum Sorgen über seine Versorgungssicherheit zu machen. Die Preisdynamik am spanischen PVB-Hub hat gezeigt, dass Märkte, die kaum vom russischen Gas abhängig sind und über große Regasifizierungskapazitäten verfügen, die Discount-Hubs der Zukunft sind.

Man darf auch nicht außer Acht lassen, dass zur potentiellen spanischen Hub-Infrastruktur auch das LNG-Terminal von Sines in Portugal mit seiner jährlichen Kapazität von 5,8 Millionen Kubikmetern gezählt werden kann. Dank der strategischen Lage dieser Anlage an der Atlantikküste haben große Energieunternehmen schon lange ein Auge auf den Standort geworfen und Pläne zu seiner Erweiterung geschmiedet. So könnte das Gas aus Portugal über Spanien in andere EU-Länder transportiert werden.

In ihrem Zehn-Punkte-Plan zur Verringerung der Abhängigkeit der EU von russischem Erdgas weist die Internationale Energieagentur darauf hin, dass Europa die Möglichkeit hat, seine LNG-Importe zu steigern, da Regasifizierungsmöglichkeiten im Überfluss vorhanden sind. Die Agentur empfiehlt dies nachdrücklich als eine der wichtigsten Maßnahmen beim Umbau des europäischen Energieversorgungssystems.

Engpässe bei der Anbindung an das Hauptnetz

Man könnte sich fragen, weshalb die EU trotz des riesigen Potentials Spaniens als Gashub solche Schwierigkeiten hat, sich vom russischen Gas zu lösen. Tatsache ist, dass die spanische Infrastruktur, die bei Vollauslastung mehr als das doppelte des spanischen Eigenbedarfs ins Land holen könnte, kaum mit der mitteleuropäischen Gasinfrastruktur verbunden ist. Über die Pyrenäen zwischen Spanien und Frankreich führen lediglich zwei Verbindungsleitungen mit einer jährlichen Gesamtkapazität von 8 Milliarden Kubikmetern: eine bei Larrau (Navarra) und eine bei Irún (Gipuzkoa).

Um mehr Gas nach Frankreich und in andere europäische Länder bringen zu können, wäre eine weitere Pipeline nötig. Pläne für eine solche Verbindung, die Midi-Catalonia (Midcat) gab es bereits einmal. Damit hätte der Export nach Frankreich auf 17 Milliarden Kubikmeter jährlich gesteigert werden können. Vor ein paar Jahren erteilten jedoch sowohl Spanien als auch Frankreich dem Projekt eine Absage. Jetzt allerdings sind die Besprechungen wieder aufgenommen worden.

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Das kurze Leben von Midcat

2013 einigten sich Spanien, Frankreich und Portugal auf den Bau der Midcat-Pipeline. Das Projekt wurde jedoch 2019 zu Grabe getragen, nachdem die spanischen und französischen Behörden zu der Erkenntnis gelangt waren, dass es nicht den Marktanforderungen entsprach.

Nach der russischen Invasion in der Ukraine zeigte sich Frankreich bereit, die Gespräche mit Spanien über Midcat wieder aufzunehmen, um seine Abhängigkeit vom russischen Gas zu reduzieren. Der französische Botschafter in Madrid, Jean-Michel Casa, sagte, die beiden Länder würden das Projekt erörtern, wenn Madrid dies offiziell beantrage.

“Müssen wir jetzt, wo sich die Lage geändert hat, nicht über Midcat sprechen? Lassen Sie uns darüber sprechen!”, so Casa in einem Interview mit der spanischen Zeitung La Vanguardia.

Der katalanische Arbeitgeberverband Forment del Treball wandte sich in einem Schreiben mit der Bitte an Regierungschef Pedro Sanchez, den Bau der Pipeline baldmöglichst wieder in Angriff zu nehmen. Der Präsident des Arbeitgeberverbandes, Josep Sánchez Llibre, erklärte, es handele sich bei Midcat um ein Projekt von strategischem und geopolitischem Interesse für die EU und um eine Möglichkeit, die Energieversorgung zu sichern und sich von Russland unabhängig zu machen.

Anfang März stellte der spanische Premier Sánchez klar, dass eine mögliche Verbindungsleitung nicht von den spanischen Steuerzahlern finanziert werden wird. “Die Verbindungsleitung ist kein Problem für Spanien, sondern für andere Länder,”, so Sánchez in einem informellen Gespräch mit Journalisten von El Diario.

Die Spanier zahlten bereits für die Regasifizierungsinfrastruktur, so Sánchez weiter. „Den Preis für die Regasifizierung zahlen wir, die Verbraucher. Wenn wir Europa unsere Überkapazitäten anbieten wollen, die bei über 60 Prozent liegen, während sie in der EU 30 Prozent betragen, dann muss nicht Spanien, sondern Europa das finanzieren.“

Ähnlich äußerte sich Ministerin Ribera auf einer Veranstaltung von La Vanguardia und EY: Es seien doch die Länder im Norden, die von der Verbindungsleitung am meisten profitieren würden, deshalb dürfe man es nicht Spanien überlassen, ihren Bau voranzutreiben und zu bezahlen.

„Auf der anderen Seite der Pyrenäen [in Frankreich] werden umfangreiche Investitionen benötigt, um diese Pipeline mit dem Hauptnetz zu verbinden“, so die Ministerin weiter. Sie unterstrich, dass die Verbindungsleitung aus dem EU-Haushalt finanziert werden sollte.

Spanien besteht außerdem darauf, dass beim Bau der Pipeline weit vorausgedacht werden soll – so soll es zukünftig möglich sein, auch andere Brennstoffe wie beispielsweise Wasserstoff durch die Pipeline zu schicken.

Schlussfolgerung: Spanien bleibt erst einmal eine Energieinsel

Wird es Spanien und Portugal gelingen, sich von Energieinseln zu Gasquellen für die EU zu entwickeln? Experten geben hierauf eine knappe Antwort: möglicherweise schon, doch nicht sofort und auch nicht kurzfristig. Denn schon jetzt, wo es lediglich um eine Rückkehr an den Besprechungstisch geht, streiten sich die Politiker bereits wieder darüber, auf wessen Rechnung Midcat gebaut werden soll. Was wird dann erst geschehen, wenn es wirklich darum geht, tief in die Tasche zu greifen? Wird das Projekt nicht irgendwo in der Brüsseler Bürokratie versanden?

Der Arbeitgeberverband Forment del Treball schätzt, dass die Bauphase drei Jahre beanspruchen und 500 Millionen Euro kosten würde (dabei geht es offenbar nur um den spanischen Abschnitt, denn der ursprüngliche Gesamtentwurf belief sich auf 3 Milliarden Euro). Nach Meinung des Präsidenten von Forment del Treball, Sánchez Llibre, entsprechen diese 500 Millionen Euro in etwa der Summe, die die Europäer täglich für russisches Gas hinblättern. Die Aufrufe aus der Wirtschaft, die Infrastruktur auszubauen, sind daher nur allzu verständlich. So kann die Energieversorgungssicherheit gefördert werden, parallel zur wirtschaftlichen Entwicklung der Region. Die tatsächlichen Kosten für die Pipeline könnten jedoch um ein Vielfaches höher liegen als veranschlagt. Und selbst wenn das Projekt vollständig extern finanziert werden würde, könnte die neue „spanische Pipeline“ allerfrühestens Anfang 2026 den Betrieb aufnehmen.