Im September 2019 hob der Europäische Gerichtshof eine Entscheidung der EU auf und zwang damit Gazprom, die Nutzung der Ostsee-Pipeline-Anbindungsleitung (OPAL) auf nur 50 Prozent der jährlichen Gesamtkapazität von 36 Milliarden Kubikmetern zu beschränken. Der EuGH entschied damit im Sinne Polens, das behauptet hatte, eine Energietransportleitung, die das polnische Staatsgebiet und das anderer Transitländer umgeht, sei nachteilig für die Interessen dieser Länder.
Zwietracht
Polen hatte das Verfahren angestrengt, um seinen Status als Transitland zu wahren. Hierdurch könnte der Gaskonflikt zwischen Russland und der Ukraine in eine neue Phase gehen, mit schlimmen Folgen für die europäischen Verbraucher.
Angesichts der russisch-ukrainischen Gastransitpreis- und Verbrauchspreiskonflikte der Vergangenheit überrascht es nicht, dass Russland versucht, die Ukraine zu umgehen. Gazprom braucht die Route durch die Ukraine nur so lange, wie es keine verlässlicheren Alternativen wie Nord Stream oder South Stream gibt. Bis dahin kann die Ukraine die Lieferungen seitens Gazprom unterbinden.
Der jetzige Gastransitvertrag zwischen Russland und der Ukraine läuft Ende 2020 aus – ein neuer Vertrag wurde noch nicht unterzeichnet. Die Ukraine hat bereits angekündigt, dass ohne einen solchen Vertrag sämtliches russisches Erdgas, das durch ihr Staatsgebiet transportiert wird, als illegal betrachtet und beschlagnahmt werden wird.
Glücklicherweise werden die europäischen Verbraucher diesen Winter nicht ohne Gas dasitzen – das sagt zumindest Andrij Kobolew, der Geschäftsführer von Naftogaz: „Wir sind davon überzeugt, dass die Ukraine die Gaslieferungen aufrechterhalten kann…zumindest im ersten Quartal 2020“, so ein Zitat von einer öffentlichen Veranstaltung in Brüssel diesen September.
Was wird die Ukraine als nächstes tun? Bislang hat sich das Land immer auf sein Glück verlassen. Aber eine weitere Verschlechterung seiner Beziehungen zu Moskau könnte mit Blick auf die jüngsten Versuche, die Grenzregionen des Landes zu befrieden, dramatische Folgen für Kiew haben.
Maßgeschneiderte Pipeline
Opal wurde 2011 gebaut, um Nord Stream, das russisches Gas über die Ostsee nach Europa transportiert, mit den Verbrauchern in Deutschland zu verbinden. Bei seiner Eröffnung sorgten die Antimonopol-Regeln für Gastransportrouten aus dem Dritten Energiepaket dafür, dass der einzige Lieferant über Nord Stream, Gazprom, nur 50 Prozent der Kapazität von Opal nutzen durfte. 2016 entschied die EU dann, dass Gazprom als einziger möglicher Nutzer der Leitung bis zu 90 Prozent ihrer Kapazität nutzen darf. Jetzt jedoch hat das oberste Gericht der EU diese Entscheidung außer Kraft gesetzt und hat damit wiederum eine strenge Lieferbegrenzung für Gazprom eingeführt.
Verbindungen in die USA
Die Entscheidung des Gerichts kommt womöglich vor allem den US-amerikanischen Exporteuren von fossilen Brennstoffen zugute. Präsident Trump hat wiederholt das amerikanische Flüssiggas als Alternative zum russischen Gas für die Ukraine und Europa ins Spiel gebracht. Als er 2017 beim amerikanischen Energieministerium ankündigte, er strebe eine Dominanz der USA auf dem Energiemarkt an, sagte er auch, die Ukraine sei bereit, Flüssiggas von der anderen Seite des Atlantiks zu beziehen statt von seinem östlichen Nachbarn.
Diese Entscheidung der ukrainischen Führung beruht jedoch möglicherweise nicht allein auf pragmatischen Gründen. Es wird immer klarer, dass die amerikanische Wirtschaft große Anteile an ukrainischen Öl- und Gasunternehmen hält. In amerikanischen Medien wurden Quellen im Weißen Haus mit der Aussage zitiert, der amerikanische Energieminister Rick Perry versuche, Vorstandsmitglieder von Naftogaz auszutauschen. Konkret hieß es, einer von Perrys ehemaligen Geldgebern aus Texas solle Vorstandsmitglied werden.
Die politischen Bande zwischen den beiden Regierungen sind sogar von noch größerer Bedeutung, da es eine der absoluten Prioritäten der Ukraine ist, auf militärischem Gebiet mit den USA zusammenzuarbeiten.
„Die Führungsriege der Ukraine begrüßt US-amerikanische Unterstützung und Investitionen in die Energiebranche des Landes”, so Margarita Balmaceda, Wissenschaftlerin beim Davis Center for Russian and Eurasian Studies und am Ukraine-Institut der Harvard University. „Es kann sogar vorkommen, dass sie ein Lippenbekenntnis zum zukünftigen Import amerikanischen Flüssiggases statt russischen Gases ablegen, aber ich glaube, der Schlüssel hierzu liegt in der Abhängigkeit der Ukraine von jedem, der dem Land militärische Unterstützung bieten kann, denn die Ukraine befindet sich angesichts der russischen Militärintervention in einer äußerst schwierigen Lage.“
Wahrscheinlich wird die heutige Regierung das Thema Instabilität als Trumpf nutzen, um Anteile am europäischen Energiemarkt zu erobern (auch wenn günstigere Optionen verfügbar sind) und um politische Verbindungen zwischen den beiden Regierungen zu knüpfen.
Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen
Trotz ihrer erklärten Absicht, im Energiebereich unabhängig zu werden, bewegt sich die EU nicht in diese Richtung, wenn sie direkte und praktische Lieferwege begrenzt. Sie fördert so vielmehr ein anderes und viel weniger günstiges Monopol. Aufgrund des Rückgangs der europäischen Erdgasproduktion ist es für die EU entscheidend, einen sprunghaften Anstieg der Gaspreise abzuwenden. Teurere Brennstoffe schaden sowohl lokalen Unternehmen als auch den Verbrauchern. Im dritten Quartal 2019 sind Flüssiggasimporte über 25 Prozent teurer als Erdgas.
Was Europa eigentlich bräuchte, ist eine gesunder Wettbewerb zwischen den Importeuren von LNG und Pipeline-Erdgas, der für einen Ausgleich auf dem europäischen Energiemarkt und für optimale Gaspreise für die Verbraucher sorgen würde.