Die Transkaspische Pipeline hängt in der Luft
Als eines der bedeutendsten Erdgasversorgungsprojekte der letzten fünf Jahre in Europa, sowohl im politischen Sinne als auch im Hinblick auf das Investitionspotenzial, galt die Transkaspische Pipeline. Dieses Projekt wurde trotz aller damit verbundenen Kosten (vor allem in politischer und ökologischer Hinsicht) von den supranationalen europäischen Institutionen als eine reelle Alternative zu russischem Erdgas angesehen. Zudem als eine Alternative, die schon in sehr naher Zukunft in die Praxis umgesetzt werden sollte – bis zum Jahr 2025.
Es ist offensichtlich, dass Vieles im Verhalten der supranationalen europäischen Institutionen während des Gastransit-Streits zwischen Russland und der Ukraine durch den Glauben an die Realisierbarkeit dieses Projekts und an sein Potenzial motiviert war, das Kräfteverhältnis auf dem europäischen Energiemarkt grundlegend zu verändern. Die Realität gestaltete sich jedoch etwas schwieriger als es sich die begeisterten Befürworter des Projekts vorgestellt hatten.
Bis jetzt ist es bei den Plänen des aus den Unternehmen Edison Technologies, MMEC Mannesmann, Air Liquid Global E&C Solution und SINOPEC Engineering Group bestehenden Konsortiums zum Bau der Transkaspischen Pipeline bei Absichtserklärungen geblieben. Es liegen keine Informationen darüber vor, ob diese Unternehmen Analysen zu den politischen, technischen und finanziellen Aspekten des Projekts erstellt haben. Und das, obwohl im vorliegenden Fall klar ist, dass es nicht um irgendeine geheime Phase des Projekts geht, in der den Konkurrenten (vor allem Russland und Iran) keine Möglichkeit gegeben werden soll, das Vorhaben zu torpedieren.
Dieses Projekt wurde in der Vergangenheit immer öffentlich behandelt, und angesichts der breiten Öffnung des Vorhabens für Investoren ist es kaum wahrscheinlich, dass Expertenkreisen Informationen und Einschätzungen über eventuelle grundlegende Fortschritte bei der Umsetzung des Projekts vorenthalten wurden. Es befindet sich also im Stadium der „operativen Stagnation“, ist jedoch Gegenstand verschiedener Manipulationen in den Medien.
Die operative Stagnation des Projekts lässt sich anhand folgender Faktoren erkennen:
- Die Bedingungen für Investitionen zur Umsetzung des Projekts verschlechtern sich auf dramatische Weise, ein Effekt, der sich natürlich während der globalen Finanz- und Investitionskrise noch verstärkt.
- Das Projekt ist nicht durch ausreichende Gaskontingente abgedeckt.
- Der politische Kontext des Projekts hat sich grundlegend verändert durch die aktive Annäherung zwischen Moskau und Baku und auch durch die Annäherungsgespräche zwischen Moskau und Aschgabat, in denen Russland seine Position bedeutend gestärkt hat.
- Die Sicherheitsrisiken im Zusammenhang mit dem Projekt sind höher als gewöhnlich, nicht nur durch die Situation im Iran, sondern auch durch die unklare Gemengelage in Kasachstan und Turkmenistan.
All diese Risiken wurden von Beginn des Projekts an wiederholt von Experten erwähnt. In den seither vergangenen Jahren wurde keine einzige der von Beginn an aufgezeigten Gefahren beseitigt. Und die Situation im Zusammenhang mit der unzureichenden Abdeckung des Projekts mit Gaskontingenten hat sich sogar noch verschlechtert.
Aschgabat besteht weiterhin darauf, mit Brüssel langfristige Geschäfte über die Lieferung von 30 Mrd. Kubikmeter Erdgas pro Jahr innerhalb eines Zeitraums von 30 Jahren abzuschließen, wobei das Gas direkt an der turkmenischen Staatsgrenze verkauft werden soll. Turkmenistan will keinerlei kommerzielle Risiken tragen, die mit dem Gastransport nach Europa verbunden sind. In dieser Frage zeigt sich die negative Erfahrung, die die Turkmenen in der Zusammenarbeit mit chinesischen Partnern gesammelt haben, die im Gegenzug für den Bau von Pipelines praktisch den gesamten Gewinn aus turkmenischen Gaslieferungen eingestrichen hatten.
Aschgabat verfügt nicht über genug freie Gaskontingente, nicht einmal um das von Brüssel vorgeschlagene, vergleichsweise kleine Geschäft über eine Verbindung der zwei Bohrplattformen „Petronas“ und „Shah Deniz“ mittels Interkonnektor abzuschließen, das es ermöglichen würde, bis zu 5 Mrd. Kubikmeter Erdgas pro Jahr am Grund des Kaspischen Meeres entlang in die Transanatolische Pipeline zu pumpen. Dies ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass große Gaskontingente langfristig vertraglich an China gebunden sind. Zudem sinkt die Attraktivität dieses Projekts gegenwärtig dadurch, dass China sich relativ rasch erholt, während die wirtschaftliche Situation in Europa zunehmend unklar ist.
Die Wahrscheinlichkeit, Kasachstan in das Projekt einzubeziehen, ist verschwindend gering. Die Variante, zusätzliche Gaskontingente durch kasachisches Gas zu erhalten, erschien von Beginn an kaum durchführbar, und unter den gegenwärtigen politischen (Übergangszeit) und wirtschaftlichen Bedingungen (fehlende Möglichkeit, eigene Mittel in das Projekt zu investieren) ist sie gänzlich ausgeschlossen, und das auf lange Sicht.
Abgesehen von den wachsenden Verpflichtungen Turkmenistans gegenüber China ist auch der Gasverbrauch im Land selbst leicht gestiegen. Es wurde begonnen, neue petrochemische Industriekomplexe und Gasturbinenkraftwerke mit einer Gesamtkapazität von bis zu 10 Mrd. Kubikmeter Erdgas pro Jahr zu bauen. Der einheimische Gasverbrauch wird sich jedoch kaum als das Haupthindernis für Lieferungen auf ausländische Märkte erweisen.
Schließlich und endlich sieht die turkmenische Führung selbst offensichtlich die Turkmenistan-Afghanistan-Pakistan-Indien-Pipeline (TAPI) als ihr wichtigstes Vorhaben an. Im Januar 2020 erteilte die Regierung der Staatlichen Außenwirtschaftsbank die Genehmigung, mit dem Saudi-Arabischen Entwicklungsfonds ein Abkommen über die Finanzierung dieses Projektes durch Kredite zu schließen. Freilich ist das Zustandekommen dieses Abkommens durch die schwierige Situation der internationalen Erdöl- und Erdgasindustrie jetzt fraglich. Aber im Kontext der wirtschaftlichen Regionalisierung und der Herausbildung einer neuen Makroregion mit Indien als Mittelpunkt, bekommt das TAPI-Projekt nicht nur strategische Bedeutung, sondern kann für Turkmenistan zum Leuchtturmprojekt werden, mit dem die übermäßige Abhängigkeit vom chinesischen Markt ausgeglichen werden kann.
Einer der wichtigsten Faktoren wird die Wiederaufnahme der Gaslieferungen nach Russland unter Nutzung der bestehenden Infrastruktur und auf der Grundlage des Direktverkaufs sein, wobei Grund zu der Annahme besteht, dass Turkmenistan die Zusammenarbeit mit Russland im Gassektor noch ausweiten wird. Nach Auffassung von Experten könnte der Kauf turkmenischen Erdgases in Zukunft über den für Gazprom traditionellen 10-11 Mrd. Kubikmetern pro Jahr liegen. Insbesondere wenn Russland damit einhergehend einige soziale und politische Verpflichtungen gegenüber der turkmenischen Führung eingeht, was in den Beziehungen Moskaus zu den postsowjetischen Staaten in Zentralasien gängige Praxis ist.
Die letztgenannten beiden Umstände zeigen eindeutig, dass Aschgabat die Transkaspische Pipeline schon lange nicht mehr als vorrangig ansieht, besonders, wenn es sie aus eigener Tasche bezahlen soll.
Insgesamt betrachtet ist die Einbeziehung Turkmenistans in den „Südlichen Gaskorridor“ gegenwärtig auch dadurch nicht zielführend, dass das Erdgas-Angebot auf dem europäischen Markt wächst. Die Verwirklichung der Transkaspischen Pipeline lässt sich wirtschaftlich erst in 15-20 Jahren begründen, wenn die Gaslieferungen aus Aserbaidschan abnehmen werden, weil dann dort die attraktivsten und am leichtesten abbaubaren Erdgasvorkommen erschöpft sind. Zum jetzigen Zeitpunkt besitzt diese Idee keinen praktischen Wert, wenn man berücksichtigt, dass die Europäer selbst die Kapazitäten für den Transport turkmenischen Erdgases in ihre Verteilnetze schaffen und ausbauen müssten.
Die Expertenszene insgesamt meint, dass der Versuch, die Informationspolitik rund um dieses Projekt neu zu beleben, darauf abzielt, das Interesse potenzieller Investoren an diesem Vorhaben aufrechtzuerhalten, das unter den Bedingungen der Krise auf dem Erdöl- und Erdgasmarkt noch unrentabler erscheint. Das Projekt Transkaspische Pipeline nimmt einen sichtbar manipulativen Charakter an.
Die aktuelle politische Unterstützung der USA für das Projekt Transkaspische Pipeline nutzt der Trump-Regierung in dem Sinne, dass die Europäer davon abgehalten werden, die Zusammenarbeit mit Russland im Gassektor weiterzuentwickeln. Es sieht eher nicht danach aus, dass die Vereinigten Staaten tatsächlich daran interessiert sind, das Vorhaben zu verwirklichen und den daran Beteiligten irgendeine Unterstützung technologischer Natur oder in Form von Investitionen zu gewähren. Die Verwirklichung des Pipeline-Projekts schadet ernstlich den Interessen amerikanischer Unternehmen bei der Organisation ihrer Flüssiggaslieferungen. Das Erdgas, das durch die Transkaspische Pipeline geliefert würde, wäre von der Lieferstruktur her gesehen eine Konkurrenz für die amerikanischen Fracking-Unternehmen. Wenn also die USA die EU dazu drängt, mit der Verwirklichung eines Projekts zu beginnen, das bis zum heutigen Tage weder durch ausreichende Gasvorräte noch durch ein entsprechendes Investitionspotenzial gestützt wird, dann geschieht dies, um eine für beide Seiten annehmbare, mittelfristige Lösung zur Versorgung Europas mit Erdgas aus Russland zu verhindern.
Die weitere Fortsetzung der Informations- und Marketingaktivitäten rund um das Projekt Transkaspische Pipeline wird nur dazu führen, dass sich Experten und Verbraucher in Europa der Illusion hingeben, die Verhandlungsposition gegenüber Russland ließe sich wesentlich verbessern. Im Endeffekt kann dies jedoch zur Folge haben, dass es zu schwerwiegenden Fehleinschätzungen bei der Planung von Fragen kommt, die in Verbindung mit der Energiesicherheit der EU stehen. Unter Zeitdruck, der durch das Fehlen von Vereinbarungen mit Russland in der Phase des Ausstiegs aus der Krise entstehen könnte, bestünde die ernstzunehmende Gefahr, dass die USA politische Mechanismen nutzen würden, um ihr eigenes Flüssigerdgas als einzige mögliche Alternative anzubieten. Und diese Alternativlosigkeit würde Europa kaum zufriedenstellen.