Die Türkei braucht womöglich einen Partner für die Erschließung von Sakarya

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Im Jahr 2020 verkündete der türkische Präsident Erdoğan feierlich die Entdeckung eines neuen, „riesigen“ Erdgasfeldes im Schwarzen Meer: Sakarya, eine der größten Neuentdeckungen des Jahres weltweit. Entdeckt wurde das Gasvorkommen bei einer Tiefseebohrung im Sektor Tuna-1.

Im Spezialanzug eines Gasarbeiters sprach Erdogan von den „unermesslichen Reichtümern“, über die sein Land jetzt verfüge, und die der Türkei zweifellos zur Energieunabhängigkeit verhelfen würden. Die türkischen Behörden schätzen den Umfang der neuen Fundstelle auf 405 Milliarden Kubikmeter und kündigten den Beginn der Erdgasförderung für 2023 an.

Es sieht alles danach aus, als verliefe die Ausbeutung von Sakarya planmäßig: Mitte Mai meldeten die türkischen Medien, die Bohrschiffe „Fatih“ und „Kanuni“ seien vor Ort, ebenso wie das seismische Forschungsschiff „Barbaros Hayreddin Pasa“. Der türkische Energieminister Fatih Dönmez kündigte den Beginn der Bohrung von Tiefsee-Bohrlöchern an, von denen es bis 2023 zehn und bis 2028 dreißig bis vierzig geben soll.

Es muss allerdings gesagt werden, dass die Türkei gerne in hypothetischen Annahmen spricht, wenn es um die neuen Erdgasvorkommen geht. Es dürfte der Regierung unter den jetzigen Bedingungen wohl kaum daran gelegen sein, sich objektiver und detaillierter zu äußern, und es ist klar, dass sie keine voreiligen Schlussfolgerungen über die Auswirkungen des neuen Erdgasfeldes auf das Energieimportsystem als Ganzes ziehen sollte.

Zunächst einmal sind die geologischen Verhältnisse des Erdgasfeldes nach wie vor unklar. Auch ist unklar, ob die geschätzte Menge korrekt ist, und wieviel davon überhaupt gefördert werden kann. Die Ankündigung Erdogans, das Gas von Sakarya werde schon in zwei Jahren an die türkischen Haushalte geliefert werden, wird von Experten mit Skepsis bewertet: dazu sind mit der Gasförderung aus großen Meerestiefen zu viele Schwierigkeiten verbunden.

Die Lagerstätte befindet sich in einer Tiefe von 4500 m unterhalb der Wasseroberfläche an einer Stelle, wo das Meer 2000 m tief ist. In der Nachbarschaft liegt „Neptun Deep“, ein von OMV Petrom und ExxonMobil betriebenes Gasfeld. Laut Thomas Purdie, Analyst bei Wood Mackenzie, hat das Schwarze Meer eine einzigartige Morphologie, wodurch die Türkei die gleichen Schwierigkeiten haben könnte, wie sie bei der Erschließung von „Neptun Deep“ auftraten: „Das Beckenzentrum ist tief, kalt und stark anoxisch. Diese unwirtlichen, schwierigen Bedingungen erfordern eine Fachkenntnis, über die TPAO derzeit nicht verfügt. Das Sakarya-Gasfeld liegt fast an der tiefsten Stelle des Schwarzen Meeres. Ein extrem unwirtlicher Ort.“

Die internationalen Öl- und Gasunternehmen wagen sich nur ungern in solche Tiefen hinab: das Risiko ist einfach zu hoch. Bislang hat die Türkei keine Belege dafür, dass bei Sakarya andere geologische Gegebenheiten vorhanden sind als bei „Neptun Deep“. Im schlechtesten Fall könnte die zu erwartende Fördermenge viel niedriger sein als angenommen.

Das Staatsunternehmen TPAO veröffentlichte letztes Jahr eine Umweltfolgenabschätzung. Darin heißt es, dass bei der Förderung bevorzugt unbemannte Untersee-Anlagen zum Einsatz kommen sollen. Es ist allerdings noch immer unbekannt, inwiefern solche Anlagen überhaupt für dieses Erdgasfeld geeignet sind. Es mangelt der Türkei zwar nicht an Selbstbewusstsein und Entschlussfreudigkeit, doch TPAO verfügt weder über die dringend notwendige Technik, noch über Erfahrung mit Erdgasförderung aus der Tiefsee. Fachleute zweifeln daran, dass es der Türkei eigenständig gelingen kann, 2023 den Förderbetrieb aufzunehmen oder überhaupt jemals das erste Gas zu fördern.

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Energieminister Dönmez hat erklärt, das Staatsunternehmen TPAO könne dieses Projekt eigenhändig durchführen und hat die Einbindung internationaler Unternehmen ausgeschlossen. Doch in der Presse gehen bereits Gerüchte um, TPAO sei doch im Gespräch mit einem oder mehreren Partnern.

Selbst wenn es der Türkei gelänge, Erdgas aus Sakarya zu fördern, so würde die Jahresmenge fünf bis sechs Milliarden Kubikmeter nicht überschreiten – das ist weniger als 15% des Eigenbedarfs des Landes. Da die Nachfrage nach Erdgas in der Türkei stetig ansteigt, wird Sakarya langfristig wohl kaum signifikante Auswirkungen auf den türkischen Markt haben. Ankara wird auch zukünftig Gas-Großimporteur bleiben, wobei der Löwenanteil auf Aserbaidschan sowie Russland entfallen wird, das gegenwärtig zwei Drittel der türkischen Gasimporte bereitstellt.

Ein solch umfangreiches Projekt könnte darüber hinaus das Budget der Türkei sprengen. 2019 durchlebte das Land eine Schulden- und Währungskrise, und 2020 sorgten die Coronavirus-Pandemie und der komplette Lockdown für eine zusätzliche Verschärfung der wirtschaftlichen Lage und eine weitere Abwertung der Lira. Nach wie vor sind die Inflationsrate und die Arbeitslosenquote hoch, die wichtige Tourismusbranche verzeichnet riesige Verluste. Die türkische Wirtschaft ist ganz offensichtlich in einem schlechten Zustand, wodurch es schwierig sein dürfte, die geschätzten Investitionen von bis zu 3,2 Milliarden Dollar für Sakarya aufzubringen.

Die Erschließung von Sakarya wird voraussichtlich schwierig und kostspielig. Einige Experten gehen außerdem davon aus, dass das Gasfeld auch nicht das versprochene Wundermittel sein wird. Der türkische Wirtschaftswissenschaftler Uğur Gürses sagte in einem Interview mit der Zeitung Duvar, die Erschließung der Gasvorkommen im Schwarzen Meer werde der Türkei nicht dabei helfen, ihr Leistungsbilanzdefizit auszugleichen und werde sich ebenso wenig entscheidend auf die langfristige Wirtschaftsleistung des Landes auswirken.

Insgesamt wirkt Sakarya wie ein gerade zur rechten Zeit aufgetauchtes, sehr nützliches Projekt für Recep Tayyip Erdoğan. Die geplante Aufnahme der Förderung im Jahre 2023 fällt – welch ein Zufall – zusammen mit den nächsten Präsidentschaftswahlen sowie mit dem hundertjährigen Jubiläum der unabhängigen türkischen Republik. Eine zielführende Umsetzung des Projekts, sofern eine solche überhaupt möglich ist, erfordert jedoch unbedingt die Einbindung von Fachleuten aus dem Ausland und ihrer Technik. In diesem Bereich sollte die Türkei sich daher nicht allzu verbissen für ihre Unabhängigkeit einsetzen.