Deutschland macht Ernst mit seinem ersten LNG-Terminal – Ein LNG-Terminal an der deutschen Nordseeküste würde laut Bundesregierung mittelfristig die Abhängigkeit Deutschlands vom russischen Gas reduzieren.

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Für die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel ist der Krieg, der Ende Februar zwischen Russland und der Ukraine ausgebrochen ist, ein “tiefer Wendepunkt in der Geschichte Europas”. Diese Aussage hängt auch damit zusammen, dass der Konflikt nach Jahrzehnten der engen Zusammenarbeit mit Russland im Energiebereich jetzt eine 180-Grad-Wende in der deutschen Energiepolitik ausgelöst hat.

Deutschland ist anscheinend bereit, sich vom russischen Erdgas zu verabschieden und stattdessen auf amerikanisches Flüssiggas zu setzen, wofür es seine eigene Infrastruktur errichten möchte.

Der Russland-Faktor

Ungefähr ein Viertel der Gas-, Öl- und Kohleimporte nach Deutschland stammen aus Russland. Die russischen und deutschen Unternehmen in der Energiebranche sind eng miteinander verflochten und bilden ein unübersichtliches Gewirr aus Joint Ventures, Tochtergesellschaften und strategischen Partnerschaften. Deutschland ist die größte Volkswirtschaft der EU und der wichtigste Handelspartner des russischen Gasgiganten Gazprom. Im Austausch gegen das Gas, das mehr als ein Drittel seines Bedarfs deckt, sorgt Deutschland für umfangreiche Devisenzuflüsse für die russische Staatskasse.

Jetzt allerdings scheint sich Deutschland von Nord Stream 2 verabschiedet zu haben, und die Pipeline liegt ungenutzt und nur mit technischem Gas gefüllt auf dem Grund der Ostsee. Deutschlands neues Ziel ist die größtmögliche Diversifizierung der Energielieferanten, um so seine Abhängigkeit von Russland zu verringern. Dazu gehört auch eine Wiederaufnahme der Pläne für ein deutsches LNG-Terminal.  
Innerhalb von ein paar Tagen nach dem Beginn des russisch-ukrainischen Konflikts unterzeichneten der deutsche Energieversorger RWE, die niederländische Gasunie und die KfW (im Auftrag der Bundesregierung) eine Absichtserklärung über den Bau eines LNG-Terminals in Brunsbüttel, über das Deutschland direkt verflüssigtes Erdgas vom Weltmarkt beziehen könnte.  
Die Bundesregierung will das Projekt finanzieren und einen 50-prozentigen Anteil daran halten. Die Gasunie soll das Terminal betreiben. RWE, dem größten Stromproduzenten Deutschlands, soll ein Anteil von 10 Prozent zufallen.

EU Europe and Russia oil and gas sanctions, stand-off and war. Squeezed gas pipe symbolizes the LNG embargo, crisis and upcoming price rises., 3d illustration.
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Politische Unterstützung

Es scheint, als genössen die Pläne für das erste deutsche LNG-Terminal jetzt die volle Unterstützung der Behörden. „Die Ereignisse der letzten Tage und Wochen haben uns doch gezeigt: Eine verantwortungsvolle, vorausschauende Energiepolitik ist nicht nur entscheidend für unsere Wirtschaft und unser Klima. Sondern entscheidend auch für unsere Sicherheit”, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz in einer Sondersitzung des Bundestages zur Ukrainekrise.

Vizekanzler Robert Habeck erklärte, Deutschland benötige übergangsweise Gas, müsse sich aber gleichzeitig so schnell wie möglich aus der Abhängigkeit von Russland lösen. Er versprach gleichzeitig, es werde auf dem Weg zur Überwindung dieser Abhängigkeit „keine Tabus“ geben. „Mit einem LNG-Terminal in Brunsbüttel erweitern wir die Importmöglichkeiten. LNG-Terminals sind hierfür quasi ein zusätzlicher Bypass. Sie helfen, die Versorgungssicherheit in Deutschland und Europa zu erhöhen“, so Habeck.

Die niederländische Finanzministerin Sigrid Kaag sagte: „Das niederländische Staatsunternehmen Gasunie leistet mit dem Bau eines LNG-Terminals in Brunsbüttel einen wichtigen Beitrag zur Gasversorgungssicherheit in Europa. Ein guter Schritt zur Verringerung der Abhängigkeit von Gasimporten aus Russland.“

Interessanterweise hat dieses Projekt eine längere Geschichte, und es wäre keine Übertreibung zu behaupten, dass bis zur russischen Invasion in der Ukraine weder die lokalen noch die Bundesbehörden darauf erpicht waren, es umzusetzen. Seine Neubelebung erfolgte innerhalb weniger Tage nach dem Beginn des Ukrainekrieges.

Eckdaten

Für den Bau des Terminals werden 450 Millionen Euro veranschlagt. Die geplante Regasifizierungskapazität beträgt 8 Milliarden Kubikmeter jährlich. Dieses Volumen könnte ins deutsche Gastransportnetz eingespeist werden, wenn das Terminal voll ausgelastet ist und regelmäßig LNG angekauft wird, egal zu welchem Preis. Außerdem wird davon ausgegangen, dass die Anlage zukünftig auch für den Import von grünem Wasserstoff in Form von Ammoniak oder Flüssigwasserstoff genutzt werden könnte. Noch einmal Robert Habeck: „Gleichzeitig planen wir die Umstellung auf grünen Wasserstoff beziehungsweise Wasserstoffderivate von Anfang an mit. Das betrifft auch den Bau der Wasserstoff-Infrastruktur. So stellen wir die Zeichen auf Klimaneutralität und gestalten den Übergang.“

Zum Verständnis und Vergleich: Deutschland verbraucht pro Jahr etwa 142 Milliarden Kubikmeter Erdgas, von dem etwa ein Drittel aus Russland stammt. Allein die Ostseepipeline Nord Stream, die Gas nach Deutschland bringt und für den Transit in andere europäische Länder sorgt, kann 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr transportieren, ist aber ständig überlastet.

Mit anderen Worten: ein einziges Terminal reicht nicht einmal aus, um auch nur eine Pipeline aus Russland zu ersetzen. Man bräuchte minimal mehrere Anlagen, die ständig komplett ausgelastet sein müssten.

Brunsbüttel ist nicht allein

Tatsächlich gibt es in Deutschland in drei Städten Pläne für das erste deutsche LNG-Terminal – in Brunsbüttel, Stade und Wilhelmshaven.

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Das Brunsbütteler Projekt entwickelte sich langsam, war jedoch insgesamt am erfolgreichsten. Die Idee gab es schon seit langem, doch erst 2018 wurde die zuständige Projektgesellschaft German LNG Terminal GmbH von der niederländischen Gasunie, Vopak und der Oiltanking Deutschland GmbH gegründet. Die Zeit verging, alle Anträge wurden eingereicht, doch das Genehmigungsverfahren zog sich in die Länge und die Baugenehmigung blieb aus. Die Behörden hatten wenig Interesse an dem Projekt – sie waren vermutlich mit dem zukünftigen Nord Stream 2 beschäftigt.

Im Februar 2022 erklärte die German LNG Terminal GmbH, die Regierung habe das Projekt immer noch nicht genehmigt, obwohl der entsprechende Antrag im Juni 2021 gestellt worden sei. Der schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister Bernd Buchholz antwortete etwas zerknirscht, es lägen noch nicht alle Unterlagen richtig vor. Er fügte hinzu, dass die Genehmigung frühestens im Herbst 2023 erfolgen werde. Nach Berücksichtigung der Bauzeit könnte das Terminal dann frühestens 2026 in Betrieb genommen werden. Zwar wird es dem Projekt jetzt kaum mehr an politischer Unterstützung fehlen, doch ist immer noch nicht klar, wann es fertiggestellt werden kann.

Die Pläne für ein LNG-Terminal in Stade waren noch umfangreicher. Sie sahen den Bau einer Anlage mit einer Kapazität von 12 Milliarden Kubikmetern pro Jahr und Baukosten von einer Milliarde Euro vor. Die extremen Preisschwankungen auf dem Markt seit Ende 2021 zwangen die Firma hinter dem Terminal in Stade, Hanseatic Energy Hub (HEH), das Interessenbekundungsverfahren für den Standort auf einen späteren Zeitpunkt im Lauf des Jahres 2022 zu verschieben. Anfang März kündigte HEH an, den Genehmigungsantrag bis Ostern einreichen und das Terminal ebenfalls 2026 fertigstellen zu wollen.

Comeback für Uniper

Das Wilhelmshavener LNG-Terminal war eines der Vorzeigeprojekte des Energiekonzerns Uniper. Im Oktober 2020 zeigte das Interessenbekundungsverfahren für den Standort, dass es in Deutschland nicht genug energiewirtschaftlichen Bedarf an der langfristigen Buchung großer Regasifizierungskapazitäten gab. Uniper selbst bezeichnete die Reaktion der Branche auf das Projekt als “lauwarm”. Das Projekt wurde deshalb im April 2021 eingestellt, und Uniper beschloss, stattdessen einen Wasserstoff-Hub aufzubauen.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) begrüßte die Absage des Projekts, da der Betrieb der Anlage mit dem Import von besonders klima- und umweltschädlichem Fracking-Gas einhergegangen wäre. Die anderen geplanten Terminals in Brunsbüttel und Stade dürften ebenfalls nicht gebaut werden, so die Organisation. „Die Betreiber aus Brunsbüttel und Stade müssen sich nun fragen lassen, wie sie ihre Planungen angesichts dieses Weckrufs noch fortsetzen können“, sagte Sascha Müller-Kraenner, der Bundesgeschäftsführer der DUH, im Jahr 2021.

Im Februar berichtete das Handelsblatt allerdings, dass die Bundesregierung parallel zur Unterstützung des Terminals in Brunsbüttel auch Uniper gebeten hat, die Planung für das LNG-Terminal in Wilhelmshaven wieder aufzunehmen.

Man prüfe momentan, ob die Planung einer solchen Anlage in Wilhelmshaven wieder aufgenommen werden könne, erklärte ein Unternehmenssprecher von Uniper gegenüber S&P Global Platts. Bei der Ankündigung der Wiederaufnahme des Projekts erklärte das Unternehmen, das Terminalprojekt stehe in engem Zusammenhang zu seinen Plänen, Wilhelmshaven zu einem zentralen Importhafen für grüne Energie zu machen. Der Import von grünem Ammoniak und die Wasserstoffproduktion sollen bis 2030 mehr als 10 Prozent des deutschen Wasserstoffbedarfs decken. Das Unternehmen wies jedoch auch darauf hin, dass es seine Gespräche mit der russischen Firma Novatek über den Import von Ammoniak ausgesetzt hat.          

Das Terminal in Wilhelmshaven soll eine Kapazität von bis zu 10 Milliarden Kubikmetern pro Jahr erreichen und 725 Millionen Euro kosten. Es könnte bereits 2023/24 ans Netz gehen, also vor der Fertigstellung der anderen geplanten Terminals.

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Deutschland plant momentan also drei eigene LNG-Terminals, die sich in unterschiedlichen Genehmigungsstadien befinden. Wenn alle drei Projekte die volle Unterstützung der Politik erhalten, könnte Deutschland ab 2023-26 über eine Regasifizierungskapazität von 30 Milliarden Kubikmetern verfügen. Dafür müssten die Investoren – Bundesregierung und Privatwirtschaft – in etwa 2,175 Milliarden Euro aufwenden.

In diesem Zusammenhang stellt sich jedoch auch die potenziell heikle Frage nach der Verfügbarkeit von Flüssiggas auf dem Weltmarkt, die die Wirtschaftswissenschaft in naher Zukunft wird beantworten müssen. Woher soll das zusätzliche LNG kommen, und zu welchem Preis, wo doch bereits heute die LNG-Fabriken in den USA, Katar und Australien voll ausgelastet sind? Natürlich wird es im Zuge der Planung der LNG-Terminals auch um diese Frage gehen.

Schlußfolgerung

Wirtschaftsminister Peter Altmaier bezeichnete 2019 Erdgas als „sexy“. Jetzt scheint die Bundesregierung jedoch eher ein Auge auf LNG geworfen zu haben. Unter diesen Bedingungen kann die Energiebranche sich begründete Hoffnungen auf weitreichende politische Unterstützung für ihre LNG-Pläne machen. Da Deutschland jedoch schon seit langem die Energiewende und den Aufbau einer Wasserstoff-Wirtschaft anstrebt, müssen neue Projekte unter Umständen schnell an sich ändernde Rahmenbedingungen angepasst werden können.

Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sagte dem NDR, man benötige für die Energiewende von Anfang an Wasserstoffterminals. LNG-Terminals seien wenig sinnvoll, da sie eine Investition in überholte Technologien darstellten. Die Planer der Terminals sind sich der Kritik an fossilen Brennstoffen bewusst. Doch sind sie bereit, ihre Projekte wirklich zukunftssicher zu machen? Welche Mehrkosten kämen damit auf sie zu? Fragen wie diese sorgen dafür, dass es bei diesem Thema so schnell nicht langweilig werden wird.