Im August 2019 wurde die Gründung eines Konsortiums aus Edison Technologies, MMEC Mannesmann, Air Liquid Global E&C Solution und der SINOPEC Engineering Group verkündet, dessen Ziel der Bau der Transkaspischen Pipeline (TCP) ist. Analysten halten die Wahrscheinlichkeit einer Umsetzung der vom Konsortium angekündigten Pläne allerdings für minimal. Es liegen ihrer Ansicht nach momentan weder die notwendigen politischen und rechtlichen, noch die entsprechenden finanziellen und wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür vor.
Anfänglich wurden die Kosten des Projekts auf etwa fünf Milliarden Dollar veranschlagt. Wenn man den Skeptikern Glauben schenkt, besteht jetzt die Gefahr einer Vervierfachung der Kosten auf über 20 Milliarden US-Dollar.
Der Hauptgrund hierfür ist die Notwendigkeit umfangreicher Investitionen in den Ausbau des Südlichen Gaskorridors für den Transport von 30 Milliarden Kubikmetern turkmenischen Erdgases. Angesichts des Erdgasangebots aus anderen Quellen könnte turkmenisches Gas hierdurch für die europäischen Verbraucher wirtschaftlich uninteressant werden. Die negative Einstellung Russlands und des Irans zur TCP sowie die Notwendigkeit eines Konsenses über die ökologischen Auswirkungen des Projekts auf das Kaspische Meer könnten dazu führen, dass sich der eventuelle Bau erheblich in die Länge zieht und potentielle Investoren und Kreditgeber das Interesse verlieren und sich stattdessen weniger umstrittenen Pipelineprojekten zuwenden.
Die Transkaspische Pipeline ist für die Europäische Union von strategischer Bedeutung. Sie könnte nicht nur ein Schlüsselinstrument für die Versorgung der europäischen Märkte mit Erdgas werden, sondern auch für eine echte politische Diversifizierung der Energieträgerquellen sorgen. Eine solche Diversifizierung würde nicht nur den Anteil Russlands am europäischen Energiemarkt schrumpfen lassen, sondern auch die wirtschaftliche Grundlage der Einflussnahme Europas auf eine Reihe post-sowjetischer Staaten stärken: Turkmenistan, Kasachstan und unter bestimmten politischen Bedingungen auch Aserbaidschan. Allerdings hat sich seit dem Zeitpunkt, zu dem das Projekt erstmals diskutiert und politisch geprüft wurde, die allgemeine politische und wirtschaftliche Situation als bedeutend komplexer erwiesen als erwartet. Außerdem haben nicht-wirtschaftliche Risikofaktoren bei Investitionsprozessen eine immer größere Bedeutung erlangt, vor allem im Energiesektor.
Heute bestimmen die folgenden Faktoren über den Erfolg der geplanten Transkaspischen Pipeline:
1. Die Haltung des Irans hinsichtlich der Konvention über den Status des Kaspischen Meeres, die im August 2018 unterzeichnet wurde. Es handelt sich dabei um die Rechtsgrundlage für die Umsetzung der TCP. Teheran treibt aus innen-, aber durchaus auch aus außenpolitischen Gründen ihre Ratifizierung nicht voran. Im iranischen Parlament dominieren die Gegner der Konvention, die der Ansicht sind, die iranische Führung habe bei der Grenzziehung im Kaspischen Meer unangemessene Zugeständnisse gemacht, um sich zusätzliche Möglichkeiten im Dialog mit der EU zu verschaffen. Damit sei sie jedoch gescheitert, wie die Ereignisse der jüngsten Zeit zeigten. Im besten Fall wird sich das iranische Parlament nach den Parlamentswahlen 2020 mit der Konvention befassen können. Beim Kaspischen Wirtschaftsforum in Turkmenistan im Sommer 2019 bestätigte ein Vertreter des staatlichen iranischen Öl- und Gasunternehmens öffentlich – was in Anbetracht der Besonderheiten der iranischen Politik besonders wichtig ist – die negative Einstellung des Irans gegenüber der TCP. Es liegt auf der Hand, dass der politische Widerstand gegen die Ratifizierung der Konvention zunehmen wird, wenn man die innenpolitischen Schwierigkeiten des Irans berücksichtigt. Die Führung des Landes, die sich mitten in einem Drahtseilakt zwischen verschiedenen innen- und außenpolitischen Interessenkomplexen befindet, wird wohl kaum daran interessiert sein, einen Grund für weitere innenpolitische Spannungen zu schaffen. Vor allem auch deshalb, weil aus einer Reihe von objektiven Gründen die Befürworter einer unnachgiebigen Politik zum Kaspischen Meer im Aufwind sein werden, während das TCP-Projekt keine neuen Argumente liefert, die zu einem Umschwenken zugunsten der Pipeline führen könnten.
2. Für den Iran ist das turkmenische Gas (und in geringerem Maße auch das aserbaidschanische und kasachische Gas) direkte Konkurrenz im Kampf um den europäischen Markt. Dieser Aspekt wird höchstwahrscheinlich in dem Maße an Bedeutung gewinnen, wie sich die iranische Führung von der Illusion einer strategischen Partnerschaft mit der EU verabschiedet und auch den Gedanken aufgibt, dass die EU den Iran im Konflikt mit den USA um das iranische Atomprogramm und die flankierenden politischen Komponenten, deren Spektrum sich ausweitet, voll unterstützen könnte. Wenn sich der Ton rund um den Iran weiter verschärft, verringern sich die Chancen der EU, in Teheran für Kompromissbereitschaft zum Thema TCP zu sorgen. Und dies trotz der Tatsache, dass sich die „Gasstrategie“ des Irans insgesamt in einer tiefen Krise befindet.
3. Ein ungünstiger, wenn auch nicht entscheidender Faktor für die TCP ist die Tatsache, dass Aserbaidschan kein großes Interesse an der Umsetzung des Projektes hat, da das Land in erster Linie die Transanatolische Pipeline (TANAP) mit ihren bis zu 16 Milliarden Kubikmetern maximal ausnutzen möchte. Mindestens bis zu dem Zeitpunkt, zu dem sich die TANAP amortisiert hat, wird Baku keinerlei Interesse daran haben, turkmenisches Erdgas über die TANAP transportieren zu lassen oder die Pipeline in Richtung Turkmenistan zu erweitern. Es entsteht der Eindruck, als rechne Baku damit, einen großen Anteil an der Erdgasversorgung Griechenlands und des Balkans zu erhalten und als sei es aus diesem Grunde daran interessiert, weiter mit Moskau zu kooperieren. Das Ergebnis könnte die Entstehung eines dauerhaften Gasverteilungssystems mit Ausgangspunkt in Griechenland sein.
4. Die unklare Position Russlands zur TCP sowie die mögliche Reaktion Russlands auf den Baubeginn. Zweifelsohne betrachtet Russland das Projekt nach wie vor als Konkurrenz zu seinen eigenen Pipelineprojekten, die bereits weit fortgeschritten sind. Doch ist es zum jetzigen Zeitpunkt absolut unklar, ob Russland die TCP nach wie vor für eine große Bedrohung hält. Gleichzeitig ist unter den russischen Experten und Politikwissenschaftlern ein immer größerer Widerstand gegen die Konvention über das Kaspische Meer zu verspüren, was zweifellos auch die Stimmung auf der politischen Ebene widerspiegelt.
Schlussendlich 5. Vor dem Hintergrund weiterer großer Pipelineprojekte wie der Zentralasien-China-Pipeline (vierter Abschnitt) und der TAPI sowie mit Blick auf die Wiederaufnahme der Erdgaslieferungen an Russland ist es nach wie vor fraglich, ob Turkmenistan überhaupt über ausreichende Erdgasvolumina verfügt, um die TCP zu füllen. Hier muss betont werden, dass Experten die von Turkmenistan angeführte Zahl von 30 Milliarden Kubikmetern Erdgas jährlich von Anfang an stark angezweifelt haben. Sie wirkte politisch motiviert. Diese Zweifel erscheinen heute zunehmend begründet. Im Juni 2019 schloss Turkmenistan mit dem Gasförderunternehmen Gazprom einen Fünfjahresvertrag über die Bereitstellung von bis zu 5,5 Milliarden Kubikmetern Erdgas pro Jahr.
Parallel dazu verhandelt Turkmenistan mit Pakistan über einen vorgezogenen Baubeginn beim TAPI-Projekt, bei dem allein es schon um ein geplantes jährliches Volumen von über 30 Milliarden Kubikmetern geht. Obwohl die Risiken dieses Projektes noch nicht ausgeräumt sind, lässt sich in letzter Zeit eine deutliche Belebung des Projekts feststellen. Turkmenistan nutzt außerdem aktiv die Möglichkeit, seine Darlehen vom größten Gläubiger des Landes, China, mittels Erdgaslieferungen zu tilgen, und baut die landeseigene industrielle Infrastruktur zur Weiterverarbeitung des Erdgases aus. Die Bedeutung solcher Maßnahmen wird zukünftig nur noch weiter zunehmen, da eine Verschärfung des Kampfes um Einflussnahme auf Zentralasien unter den externen Schlüsselakteuren unvermeidlich ist – der Iran und Russland eingeschlossen. Unter diesen Bedingungen kann jedoch allein Russland dem turkmenischen Regime, das mit großen volkswirtschaftlichen Schwierigkeiten kämpft, eine Sicherheits- und Stabilitätsgarantie geben. Russland wird so ironischerweise zum einzigen verlässlichen Garanten für die Investitionen der EU in das Projekt. Allein der Gedanke dürfte in Brüssel auf automatischen Widerstand stoßen, und inhaltlich muss dieser Aspekt angesichts der Verschärfung des Streites um Nord Stream und den Gastransit durch die Ukraine als vollkommen unannehmbar gelten.
Es entsteht der bleibende Eindruck, dass Turkmenistan die TCP nach wie vor nicht als Haupt-Exportpipeline betrachtet. Nach Meinung der Experten befindet sich das Land in einer äußerst schwierigen wirtschaftlichen Lage und fürchtet eine Verstärkung seiner Abhängigkeit von China und zunehmend auch von Russland. Deshalb, so die Experten, versucht die Regierung in der Hoffnung auf einen zukünftigen Bonus in den (handels)politischen und wirtschaftlichen Beziehungen, das Spiel Brüssels und der USA mitzuspielen. Hierbei gilt es zu beachten, dass in der jetzigen wirtschaftlichen Konfiguration (nach Abschluss der ingenieurtechnischen Phase von TurkStream) das turkmenische Gas weniger dem russischen zur Konkurrenz wird als vielmehr dem US-amerikanischen Schiefergas. Die TCP könnte zu einer interessanten, wenn auch zweischneidigen Waffe für die turkmenische Regierung werden, wenn es darum geht, Druck auf Washington auszuüben, um in der heutigen (militär)politischen und wirtschaftlichen Gemengelage im kaspischen Raum einen besseren Stand zu erlangen. Es bestehen aber in jedem Fall begründete Zweifel an der Fähigkeit der heutigen Regierung Turkmenistans, ein solch großes, mehrschichtiges Projekt wie die TCP überzeugend zu lenken und den von ihr selbst verschuldeten Komplex aus wirtschaftlichen und nicht- wirtschaftlichen Risiken zu bewältigen.