Das litauische Energieministerium unternimmt verzweifelte Anstrengungen, um sich aus den Fesseln des 2014 mit dem norwegischen Konzern Equinor (ehemals Statoil) geschlossenen Vertrages zu befreien. Dieser ist für Vilnius äußerst ungünstig, denn er sieht vor, dass jährlich vier Tankerladungen Flüssiggas (LNG) geliefert werden – zu einem Preis, der deutlich über dem marktüblichen Preis liegt. Als Antwort wurde bereits schweres Geschütz in Stellung gebracht: Norwegen, das sich weigert, die Vertragsbestimmungen zu revidieren, hat die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) auf seine Seite gezogen, und diese droht Litauen damit, in ihrem Rating die Investitionsattraktivität des Landes herabzustufen.
Litauen pachtet seit 2014 das LNG-Terminal „Independence“ von Norwegen. Die Regierenden begründeten ihre Entscheidung mit dem Wunsch, dem Erdgasmonopol von Gazprom zu entkommen. Unabhängige Experten haben diesbezüglich wiederholt unterstrichen, dass das Bestreben Litauens, auf russisches Erdgas zu verzichten, wirtschaftlich nicht zweckmäßig war. Ihrer Auffassung nach ist auch die Tatsache, dass Vilnius zu unvorteilhaften Konditionen amerikanisches Flüssiggas kauft, auf Druck aus Washington zurückzuführen, denn die USA wollen ihren Brennstoff auf den europäischen Markt bringen.
Was das norwegische LNG-Terminal im Hafen von Klaipeda betrifft, so wird Vilnius bei Vertragsende im Jahr 2024 insgesamt 600 Millionen Euro Pacht gezahlt haben (60 Millionen im Jahr), wobei der Bau des Terminals Norwegen nur halb so viel gekostet hat – 300 Millionen Euro.
Aber das ist noch nicht alles: Es ist kein Zufall, dass Experten im Hinblick auf die Vertragsbestimmungen von wahrhafter Knechtschaft sprechen. Vilnius ist verpflichtet, jährlich vier Tankerladungen Flüssiggas von Equinor zu kaufen, noch dazu zu einem für Litauen äußerst unvorteilhaften Preis. Zwar sind die Weltmarktpreise für Flüssiggas in den letzten sechs Jahren so stark gesunken, dass sie inzwischen nur noch ein Sechstel des ursprünglichen Preises betragen, die Bedingungen für die norwegischen Lieferungen für das Terminal in Klaipeda sind jedoch gleich geblieben. Es steht außer Frage, dass Litauen in seinem Streben nach Unabhängigkeit von russischen Gaslieferungen einen zu hohen Preis bezahlt.
Das litauische Energieministerium versucht, dies zu ändern. Energieminister Žygimantas Vaičiūnas machte sich vergangenes Jahr für die Verabschiedung eines Gesetzes stark, mit dem die verpflichtende Abnahme von Flüssiggas von vier auf zwei Tankerladungen pro Jahr reduziert werden sollte. Die entstandene Situation nannte er eine „ererbte Eiterbeule mitten im gesunden Gasmarkt“. Wenn dieses Gesetz tatsächlich verabschiedet wird, sinken Experten zufolge die von den Verbrauchern zu tragenden Kosten für die Mindestauslastung des Terminals von 25 Millionen Euro im Jahr 2020 auf 6,5 – 7 Millionen Euro im laufenden Jahr.
Wenn sich jedoch nichts an der Situation ändert und die Zahl der Tankerladungen, die von Equinor abgenommen werden müssen, nicht reduziert wird, könnten sich die Verluste für Litauen bis 2024 auf 200 Millionen Euro belaufen, warnt der litauische Energieminister.
Diese Verluste werden die litauischen Verbraucher tragen müssen, in Gestalt der Privathaushalte und der Industrieunternehmen. Laut Vertragsbestimmungen verkauft Vilnius den Marktteilnehmern das Gas zum aktuell auf dem Markt üblichen Durchschnittspreis und kompensiert die Differenz zum Preis von Equinor mit derjenigen Komponente des Terminals, für die niemand anderes zahlt als die Verbraucher. So gehört zu den Gaskunden in der Industrie z. B. der Konzern Achema, der sich aus mehr als 50 Unternehmen mit unterschiedlichem Profil in Litauen und im Ausland zusammensetzt und der einer der größten litauischen Steuerzahler und gleichzeitig wichtigsten Arbeitgeber im Land ist.
Wie aus dem litauischen Energieministerium verlautet, sind es die Verbraucher in Litauen, die die Differenz für alle vier Tankerladungen des wahrhaft „goldenen“ norwegischen Flüssiggases kompensieren. Im vergangenen Jahr belief sich die Summe der auf den Schultern der Verbraucher lastenden Kompensationen auf ca. 25 Millionen Euro. Im Jahr 2021 könnte diese Summe voraussichtlich auf bis zu 35 Millionen Euro anwachsen.
Obwohl die Situation so offensichtlich ist, weigert sich Equinor, die Vertragsbestimmungen zu revidieren. Wie Žygimantas Vaičiūnas unterstreicht, habe er die norwegische Regierung voriges Jahr gebeten, im Sinne einer Vertragsänderung zusammenzuarbeiten, habe jedoch keine Antwort erhalten. Darius Montvila, der Generaldirektor von „Ignitis“, meint, dass die Chancen für eine Revision des Vertrags sehr schlecht stehen: „Theoretisch ist das möglich, aber in der Praxis sieht es so aus, dass wir allein im letzten Jahr 10 Gesprächsrunden hatten, in denen die Position von Equinor ganz klar zutage trat. Sie sind bereit, den Vertrag zu ändern – unter der Bedingung, dass die ihnen gewährten Vergünstigungen nicht angetastet werden. Oder einfacher ausgedrückt: Ihr könnt tun, was immer ihr wollt, aber wir von Equinor möchten trotzdem unser Geld“.
Es ist klar, dass Norwegen sich seinen Gewinn nicht so ohne Weiteres entgehen lassen will. Nachdem das litauische Energieministerium den Gesetzentwurf zur Halbierung der norwegischen Flüssiggaslieferungen zur Abstimmung gebracht hatte, zog Oslo die EBWE hinzu, um Druck auf Vilnius auszuüben. In einem Schreiben, das die Leitung der Bank an Žygimantas Vaičiūnas richtete, heißt es, solche „übereilten“ Schritte seines Ministeriums ohne Berücksichtigung der Handelsinteressen aller Vertragspartner könnten die Investitionsattraktivität Litauens schmälern, vor allem für europäische Investoren.
Flüssiggas, das als Alternative zu russischem Pipelinegas, dessen Anteil an der Energieversorgung zu senken Europa so sehr am Herzen liegt, fungieren soll, ist nur unter bestimmten Bedingungen attraktiv, betonen Experten. Bisher ist es jedoch bedeutend teurer als Leitungsgas.
Im Jahr 2020 gelangte Flüssiggas aus den USA in großem Umfang nach Europa, aber dieses Jahr sind die Gaspreise durch einen besonders kalten Winter in Asien und in den USA entsprechend in die Höhe geschossen und es hat praktisch kaum ein Flüssiggastanker bis nach Nord- und Westeuropa geschafft. Experten sind daher der Auffassung, dass gegenwärtig kein Land seine Gasversorgung allein auf der Grundlage von Flüssiggas aufbauen sollte. Dies hat auch der gerade zu Ende gegangene Winter eindrücklich gezeigt, in dem wie auch schon 2018 viele EU-Staaten ein Gasdefizit mit Leitungsgas ausgeglichen haben, das in erster Linie aus Russland stammte.
In der um das LNG-Terminal in Klaipeda entstandenen Situation, in der Vilnius offensichtlich in einer Sackgasse steckt, tun sich die Experten schwer mit einer Prognose zum Ausgang des Konflikts. Obwohl sie bereits jetzt eines ganz klar anmerken: Für den grenzenlosen Drang, Russland „eins auszuwischen“, der Litauen dazu gebracht hat, auf russisches Gas zu verzichten und dabei sogar Nachteile für sich in Kauf zu nehmen, zahlen das Land und seine Bürgerinnen und Bürger nun einen unverhältnismäßig hohen Preis.