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Im Juli 2022 unterzeichneten die EU und Aserbaidschan eine Absichtserklärung über eine strategische Partnerschaft im Energiesektor – ein bedeutender Schritt. Es geht darum, die Abhängigkeit von den russischen Gasimporten zu verringern: Aserbaidschan verspricht, die Gasausfuhren nach Europa im Lauf der nächsten fünf Jahre zu verdoppeln. So ließe sich zumindest teilweise die „Gaslücke“ schließen, die sich seit Beginn des stillschweigenden Energiekriegs aufgetan hat, den Russland seit Ende Februar gegen die EU führt.
Die Absprachen mit Aserbaidschan sind vielversprechend. Baku plant bereits gegen Jahresende eine Erhöhung der Gaslieferungen nach Europa um 50 Prozent, von derzeit 8 Milliarden auf 12 Milliarden Kubikmeter. Wenn es nach der Absichtserklärung geht, sollen 2027 bereits 20 Milliarden Kubikmeter Erdgas in die EU ausgeführt werden. Bevor jedoch von einem entscheidenden Schritt hin zur Verdrängung von Russland vom Weltmarkt für Erdgas die Rede sein kann, muss die Absichtserklärung genauer unter die Lupe genommen werden.
Eigentlich gibt es wenig Grund zur Freude. Fachleute sind der Ansicht, dass Aserbaidschan möglicherweise gar nicht über die notwendigen Ressourcen verfügt. „Aserbaidschan hat momentan gar nicht genügend Erdgas, um die Ausfuhren nach Europa zu steigern. Von den Gasfeldern Karabach und Dostluk sollen jeweils etwa 2 Milliarden Kubikmeter kommen, doch erst 2025-26. Und die 5-6 Milliarden Kubikmeter aus dem Gasfeld Absheron-2 der französischen Firma Total frühestens 2027“, so der Leiter des Aserbaidschanischen Öl-Forschungszentrums, Ilham Shaban.
Zu dieser Erkenntnis gelangt auch ein Bericht des Oxfort Institute for Energy Studies. Darin heißt es, dass die Absichtserklärung mit hoher Wahrscheinlichkeit gar nicht umgesetzt werden wird. Die Autoren des Berichts gehen davon aus, dass Aserbaidschan nur über sehr begrenzte Möglichkeiten verfügt, mehr Erdgas für Europa zu fördern. Und die Lieferungen, die das Land tatsächlich durchführen kann, werden für die EU wohl kaum rentabel sein.
Dass aserbaidschanisches Gas so teuer ist, liegt in erster Linie an den hohen Transportkosten nach Europa. Als wirtschaftlich lässt sich sein Kauf daher kaum bezeichnen. In Italien beispielsweise bezahlten die Verbraucher für Gas aus Aserbaidschan doppelt soviel wie für russisches und dreimal soviel wie für algerisches Gas.
„Gas aus Aserbaidschan kann in der Türkei wettbewerbsfähig sein, aber keinesfalls auf dem europäischen Markt“, ist Nesser Kopalyan, Politologieprofessor an der University of Nevada, überzeugt. Auch technische Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Erkundung und Erschließung der Lagerstätten im Kaspischen Meer erhöhen die Lieferpreise.
Ein weiteres beinahe unüberwindliches Hindernis bei der Umsetzung der Absichtserklärung ist die fast komplette Auslastung der Transadriatischen Pipeline (TAP). Mehr als 11 Milliarden Kubikmeter kann diese Pipeline nicht transportieren. Aserbaidschan ist zu Gesprächen über den Ausbau des Südlichen Gaskorridors und insbesondere der TAP bereit. Präsident Alijew gab bekannt, sein Land habe bereits Konsultationen mit seinen Partnern zum Kapazitätsausbau der Transanatolischen Pipeline (von 16 auf 32 Milliarden Kubikmeter jährlich) und der TAP (von 10 auf 20 Milliarden Kubikmeter jährlich) aufgenommen. „Ohne diese Maßnahmen wird es schwierig sein, die Liefermenge zu steigern“, gab Alijew zu.
Allerdings geht Aserbaidschan davon aus, dass es die europäischen Staaten sein werden, die mit umfangreichen Investitionen den Ausbau ermöglichen. Momentan deutet jedoch nichts darauf hin, dass die EU in der jetzigen schlechten Wirtschaftslage bereit wäre, die notwendigen Investitionen zu tätigen, die von den Experten des Oxford Institute unumwunden als „massiv“ bezeichnet werden. Und selbst wenn sich die notwendigen Mittel finden sollten: nicht einmal die optimistischsten Einschätzungen gehen davon aus, dass vor Ende 2030er signifikant mehr Gas an Europa geliefert werden würde. Laut dem Bericht des Oxfort Institute ist mit mindestens 15 Jahren zu rechnen.
Die Umsetzung der Diversifikationsziele der EU mit Hilfe Aserbaidschans wird außerdem noch durch eine Bedingung erschwert: Baku fordert direkte langfristige Lieferverträge mit der EU. Die EU lehnt solche Verträge jedoch seit einiger Zeit aus verständlichen Gründen kategorisch ab. Daran scheiterten im Juni auch die Gespräche mit Katar, einem der größten Gasexporteure der Welt. Katar war bereit, mehr Erdgas nach Europa zu schicken, verlangte jedoch im Gegenzug den Abschluss langfristiger Lieferverträge. Darauf konnte sich die EU schlicht und ergreifend nicht einlassen, da die langfristigen Risiken schwerer wogen als der kurzfristige Nutzen.
„Der Hauptgrund dafür, dass Europa sich nicht auf Gas aus Aserbaidschan verlassen darf, ist offensichtlich: es ist sehr unwahrscheinlich, dass Aserbaidschan in der Lage ist, die versprochenen Mengen zu liefern, trotz seiner wichtigtuerischen Versprechungen“, warnt Professor Kopalyan von der University of Nevada. „Bei den versprochenen Gasreichtümern aus Aserbaidschan handelt es sich um nichts anderes als eine PR-Kampagne.“
Zur Erinnerung: laut Informationen der Internationalen Energieagentur importierte die EU 2021 155 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Russland. Das entspricht 45 Prozent der Gesamteinfuhren und 40 Prozent des Gesamtverbrauchs in der EU. Und es ist das Zwanzigfache dessen, was Aserbaidschan zu liefern verspricht. Mit anderen Worten: die EU darf in ihren Anstrengungen nicht nachlassen und muss weiter aktiv nach neuen Lieferanten suchen. Und zwar nach Lieferanten, die nur versprechen, was sie auch halten können.