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Im Januar 2021 beendeten Turkmenistan und Aserbaidschan mit der Unterzeichnung eines Memorandums über die gemeinsame Exploration und Erschließung des Gasfeldes „Dostluq“ im Kaspischen Meer einen beinahe drei Jahrzehnte lang schwelenden Streit um die Fundstätte. Damit sei nun, so verlautete es aus den Hauptstädten Aschgabat und Baku, die letzte Hürde für die Transkaspische Pipeline (TCP) genommen, auf deren Bau Turkmenistan bereits seit über 20 Jahren hinarbeitet. Allerdings zeichnen sich für Turkmenistan dunkle Wolken am Horizont ab. Es gibt eine ganze Reihe von Faktoren, die das Projekt nicht nur behindern, sondern eine Umsetzung der TCP sogar ziemlich unwahrscheinlich erscheinen lassen.
Seit ein paar Jahren ist unübersehbar, dass der starke Anstieg der geförderten Gasmenge in den Ländern am Kaspischen Meer der Vergangenheit angehört und dass dementsprechend ein Anstieg der Produktion in Turkmenistan nicht zu erwarten ist. Eine volle Auslastung der von Turkmenistan heute genutzten Exportpipelines ist daher sehr unwahrscheinlich – von einer Vollauslastung der TCP ganz zu schweigen. Die Turkmenistan-China-Pipeline beispielsweise transportierte in letzter Zeit bei einer Kapazität von 55 Milliarden Kubikmetern durchschnittlich nur 36 Milliarden Kubikmeter jährlich. Der Iran erhielt trotz einer Leitungskapazität von 20 Milliarden Kubikmetern lediglich 8 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Gleichzeitig wirbt Turkmenistan eifrig für den Bau der Trans-Afghanistan-Pipeline (TAPI), von der sich Aschgabat sehr viel verspricht. Wird die TAPI fertiggestellt, so bleibt für die Transkaspische Pipeline nicht mehr viel Erdgas übrig.
Von dieser Gemengelage profitiert Aserbaidschan, das wiederum auf der Suche nach zusätzlichen Exportmöglichkeiten für seine Energieträger ist. Baku rechnet mit einer Ausweitung der eigenen Förderung und damit einer besseren Auslastung des Energiekorridors, über den langfristig auch mehr Erdgas ausgeführt werden soll. Momentan nimmt Aserbaidschan zwar noch aktiv an den Unterredungen über die TCP teil und wirkt auf den ersten Blick sogar wie ein eifriger Verfechter der Pipeline, doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass Baku in Bezug auf das turkmenische Gas etwas ganz anderes im Sinn hat. Die TCP ist für Aserbaidschan nur in einer einzigen Situation von Bedeutung: wenn nämlich die eigenen Ressourcen für eine Auslastung der vorhandenen Pipelines nicht ausreichen und gleichzeitig die europäische Nachfrage sprunghaft ansteigt. Entsprechend wird Baku, wenn die eigene Gasförderung ansteigt und der Südliche Gaskorridor damit ausgelastet ist, sein Interesse am turkmenischen Erdgas verlieren. Aus diesem Grund wird Aserbaidschan kaum für den Bau der TCP aufkommen, und Turkmenistan verfügt ganz offensichtlich nicht über die entsprechenden Mittel.
Ein Nein Aserbaidschans zur TCP wäre ein harter Schlag für Turkmenistan, da damit eine Finanzierung der TCP unmöglich würde. Überhaupt reißen sich die Investoren nicht gerade um eine Zusammenarbeit mit Turkmenistan. Das Land ist nicht offen und außerdem juristisch unberechenbar, ohne jegliche Garantien für Investoren. Es ist daher nicht verwunderlich, dass offenbar niemand in dieses kostspielige Projekt investieren möchte.
Auch auf eine Finanzierung seitens der europäischen Institutionen kann Aschgabat wohl kaum rechnen. Die Europäische Investitionsbank investiert nicht mehr in fossile Brennstoffe und die EU-Kommission hat vorgeschlagen, Erdgasprojekte nicht mehr in der TEN-E-Verordnung zu berücksichtigen, die den Rahmen für die grenzüberschreitende Energie-Infrastruktur der EU vorgibt. All dies bedeutet, dass nicht nur der Zugang zu europäischen Finanzmitteln abgeschnitten ist, sondern auch der zu privaten Investoren, da deren Interesse an der TCP sich unter diesen Umständen stark in Grenzen halten dürfte.
Der Energieexperte Marco Giuli, Leiter des Institute for European Studies der Freien Universität Brüssel, geht davon aus, dass die Abkehr der EU von den fossilen Brennstoffen definitiv zu einem Preisabfall beim Erdgas führen wird. Im Bewusstsein dessen treibt Turkmenistan die TCP voran, sodass das Projekt unumkehrbar ist, bevor die nachlassende Nachfrage seine reichen Öl- und Gasvorkommen wertlos macht.
Auch der unerbittliche Widerstand des Iran erschwert die Umsetzung dieses Großprojekts. Der Iran hat mehrfach darauf hingewiesen, dass der Bau der Pipeline unumkehrbare Folgen für die Ökosysteme der Region haben könnte. Dies ist durchaus verständlich: der Mensch stellt tatsächlich eine große Bedrohung für das Kaspische Meer und damit auch für die dort heimischen Störarten dar. Der Iran ist seit langem weltweit führend bei der Produktion von schwarzem Kaviar, dessen Erlös die Haushaltskasse des Landes jährlich mit Dutzenden Millionen Dollar füllt.
Ein weiterer Grund für das Desinteresse Teherans an der TCP ist die Konkurrenz, die das Erdgas aus Turkmenistan für die Pläne des Iran darstellt, selbst wieder Gas nach Europa zu liefern. Eine Verwirklichung dieser Pläne ist nicht ausgeschlossen: US-Präsident Joe Biden hat vor, dem Iran eine weitgefasste Vereinbarung vorzulegen, im Rahmen derer die schwersten Sanktionen seines Vorgängers Donald Trump vollständig aufgehoben würden. Dadurch rückt auch der Bau von Pipelines für den Export der iranischen Energieträger nach Europa näher – etwas, von dem der Iran seit langem träumt. Billiges Gas aus Turkmenistan würde dem Land hierbei jedoch einen Strich durch die Rechnung machen. Daher ist die Konkurrenz aus Turkmenistan im Iran unerwünscht.
Hinzu kommt, dass die Transkaspische Pipeline von Turkmenistan über Aserbaidschan in die Türkei führen könnte und damit dem Iran in die Quere käme, der sein Erdgas ebenfalls an die Türkei liefert. Man darf auch nicht außer Acht lassen, dass der türkische Gasmarkt für die Iraner entscheidend ist. Wird es Aschgabat gelingen, den großen Widersacher Iran auszuspielen? Das ist die große Frage.
Die Türkei ihrerseits setzt alles daran, turkmenisches Erdgas einzulagern und dann nach Europa weiterzuleiten. Es ist daher kaum verwunderlich, dass Ankara die Unterzeichnung des Memorandums über die gemeinsame Exploration und Erschließung des Feldes „Dostluq“ begrüßt hat. Vertreter der Türkei gaben an, der Bau der TCP mache den Weg frei für weitere Projekte im Hinblick auf eine erhöhte Energieversorgungssicherheit für ihr Land und für Europa.
Allerdings würde die neue Erdgasleitung in erster Linie dem Interesse Ankaras dienen, das damit noch mehr Kontrolle über die Erdgaslieferungen in die EU erlangen würde. Die Kontrolle über einen weiteren Gashahn würde die Position der Türkei zweifellos stärken. Die EU hingegen würde durch die größere Abhängigkeit von Ankara geschwächt werden.
Es gilt auch die ehrgeizigen Pläne der EU zur Reduzierung fossiler Brennstoffe zu berücksichtigen: den Green Deal. Bis 2050 möchte die EU hierbei entscheidend vorankommen und fossilfrei werden, wobei dem Erdgas lediglich eine Rolle als Übergangsressource zuerkannt wird. Wie erfolgreich diese Pläne sein werden, lässt sich natürlich heute noch nicht beurteilen. Doch insgesamt ist zu erwarten, dass es dadurch zu einer sinkenden Nachfrage nach Erdgas kommen wird.
Die europäische Nachfrage wird sich wohl im Laufe des nächsten Jahrzehnts stabilisieren und danach stark abfallen, vorausgesetzt, es gelingt der EU, ihre Pläne zur Klimaneutralität umzusetzen. Für eine Pipeline wie die TCP, die auf über 50 Jahre ausgelegt ist, sind das keine rosigen Aussichten. Hierdurch werden selbst die letzten theoretischen Finanzierungsmöglichkeiten mit EU-Geldern zunichte gemacht. Die EU verfügt bereits jetzt über eine Überkapazität beim Import, und die Finanzierungsmöglichkeiten für Infrastrukturprojekte werden sich vor dem Hintergrund der Klimaneutralitätszielsetzung schnell ändern.
Jonathan Stern, Distinguished Research Fellow beim Oxford Institute for Energy Studies, unterstreicht, dass der Green Deal und die Pläne der EU zur Reduzierung der CO2-Emissionen vorsehen, dass alle neuen Gaslieferungen an die EU entkarbonisiert werden müssen, dass also das CO2 abgespalten werden muss. Mit anderen Worten: solange Erdgas nicht leicht entkarbonisiert werden kann, wird niemand einen langjährigen Liefervertrag unterzeichnen.
Der Bau einer transkaspischen Erdgasleitung wird so noch kostspieliger und schwieriger. Damit schwinden die Aussichten auf turkmenische Gaslieferungen für Europa ganz.