Mitten im Sommer ertönten in Israel die Siegesfanfaren: Die Regierung hatte endlich – nach den Regierungen Griechenlands und Zyperns – das Abkommen über die EastMed-Pipeline ratifiziert. Auf der Grundlage dieses Abkommens sollen europäische Verbraucher mit Erdgas aus dem israelischen Leviathan-Gasfeld beliefert werden.
Das Abkommen war im Januar 2020 unterzeichnet worden, dem vorausgegangen war allerdings eine fast einjährige Verzögerung, denn das Vorhaben erwies sich schon vor Beginn seiner Umsetzung als problematisch. Experten sehen auch weiterhin keine klaren Perspektiven. Ungünstig auf EastMed wirken sich auch die geologischen Besonderheiten des Meeresbodens im Mittelmeer aus, die Investitionen und Abschreibungskosten in die Höhe treiben, sowie die geopolitische Instabilität in dieser Region, die die Umsetzung des Projekts grundsätzlich in Frage stellt.
Eine ambitionierte Aufgabe
Zweifel an der Rentabilität von EastMed ruft nicht nur die Rekordlänge der Pipeline von fast 2000 km hervor, sondern auch die Tiefe, in der sie verlaufen soll: in einigen unter Wasser geplanten Streckenabschnitten zwischen Zypern und Kreta müssten die Röhren in mehr als drei Kilometern Tiefe verlegt werden. Dabei gilt es neben der problematischen Oberflächengestalt des Meeresbodens in diesem Teil des Mittelmeers die Tatsache zu berücksichtigen, dass das Gebiet die zweithöchste seismische Aktivität weltweit aufweist.
Würde die EastMed-Pipeline gebaut, wäre sie die längste und tiefstgelegene Pipeline der Welt, und obwohl die technischen Möglichkeiten dafür theoretisch vorhanden sind, wurden sie bisher noch nie in der Praxis erprobt. Diese ambitionierte Aufgabe – so warnen Experten – würde das Vorhaben nicht nur automatisch von 7 auf 12-13 Milliarden Dollar verteuern. Beobachter fürchten, dass sich auch die Abschreibungskosten zwangsläufig im Preis für das aus dem Levantischen Becken nach Europa gelieferte Erdgas niederschlagen würden.
Angesichts der äußerst instabilen Situation auf dem Gasmarkt des Jahres 2020 infolge der Coronavirus-Pandemie sind solche Voraussetzungen für potenzielle Investoren und Abnehmer israelischen Erdgases jedoch wohl kaum von Interesse. Umso mehr als in Südosteuropa bereits solche Vorhaben wie die Fortsetzung der Turkish Stream-Pipeline und der Südliche Gaskorridor, zum dem die Transadriatische Pipeline (TAP) gehört, verwirklicht werden. Diese Pipelines sind bereits in Betrieb oder stehen kurz vor ihrer Inbetriebnahme, was man von EastMed nicht behaupten kann.
Es darf zudem nicht vergessen werden, dass im Hauptgasfeld des neuen Projekts, dem auf Israels Festlandsockel gelegenen Leviathan-Gasfeld, nach zahlreichen Verzögerungen erst Anfang 2020 mit der Förderung begonnen wurde und dass nach Auffassung von Experten noch einige Zeit vergehen wird, bis die für EastMed geplante Fördermenge von 12 Milliarden Kubikmeter tatsächlich erreicht wird. Der Preissturz bei den Gaspreisen im Frühjahr dieses Jahres hat bereits dazu geführt, dass die Prognosen für die Fördermenge im Leviathan-Gasfeld von 10 Milliarden auf 7 Milliarden Kubikmeter herabkorrigiert wurden.
Anfangs könnte das bereits in Betrieb genommene israelische Tamar-Gasfeld dabei helfen, Gas in die Pipeline einzuspeisen, aber das Tamar-Erdgas ist – abgesehen von geringen Kapazitäten, die nach Jordanien geliefert werden – vor allem für den heimischen israelischen Markt bestimmt.
Woher ist Hilfe zu erwarten?
Die wichtigste Frage, die sich in dieser Situation stellt, lautet: Können für dieses schwierige Projekt Investoren gefunden werden? Die EU, die EastMed fördert, hat dafür lediglich 35 Millionen Euro bereitgestellt, was selbst angesichts der für die Pipeline ursprünglich veranschlagten Kosten von 6 Milliarden Euro ein verschwindend geringer Betrag ist.
Noch vor kurzem gab die aktive politische Unterstützung der USA für das Vorhaben Anlass zu der Hoffnung, dass sich lautstarke Worte und Erklärungen in klingende Münze verwandeln würden – in Form von amerikanischen Investitionen in die Pipeline. Dies umso mehr, als 2009 bei der feierlichen Unterzeichnung des Abkommens US-Außenminister Mike Pompeo persönlich anwesend war, zum Zeichen der amerikanischen Unterstützung für EastMed. Aber es blieb bei schönen Worten, bisher floss aus Washington nicht ein Cent in die Kofinanzierung des neuen, ambitionierten Projekts. Und es wird auch keiner fließen, meinen Experten. Für die Notwendigkeit einzutreten, die Gaslieferungen nach Europa zu diversifizieren und sich im Hinblick auf die europäische Energiesicherheit gegen Nord Stream 2 zu stellen, ist eine Sache – in die risikobehaftete EastMed-Pipeline zu investieren, eine völlig andere. Vor allem, wenn man eigenes Flüssigerdgas besitzt und davon träumt, es nach Europa zu liefern. Das israelische Erdgas wird also nicht ohne private Investoren auskommen.
Money loves silence
Das größte Hindernis für die Gewinnung von Investoren und die praktische Umsetzung des Projekts wird jedoch zwangsläufig der Konflikt in der Ägäis sein, der sich im September ernsthaft verschärfte, als die Türkei und Griechenland Kriegsschiffe in die Region entsendeten. Anlass für die Zuspitzung der Lage waren die von Ankara in Angriff genommenen Prospektionsarbeiten in der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) Griechenlands im östlichen Mittelmeer, nachdem auf dem zyprischen Festlandsockel bedeutende Erdöl- und Erdgasvorkommen entdeckt worden waren.
Der Beschluss zum Bau der EastMed-Pipeline wurde in dieser Situation geradezu zum Auslöser. Danach erklärte die Türkei, die gerade mit Libyen ein Abkommen zur Festlegung der Seegrenzen unterzeichnet hatte, den gesamten östlichen Mittelmeerraum bis an die Grenzen der ausschließlichen Wirtschaftszone Libyens als ihre eigene AWZ. Ankara begann sogar damit, Förderlizenzen für die Vorkommen in der Region an Unternehmen zu vergeben, darunter auch für jene auf dem Festlandsockel von Kreta und Zypern.
Nachdem sich Frankreich und Deutschland aktiv in die Regelung des Konflikts eingeschaltet hatten, gelang es, offene Kriegshandlungen in der Ägäis zu verhindern. Das Problem besteht jedoch fort: Einige Abschnitte von EastMed sollen durch Zonen im Mittelmeer führen, deren Grenzen bisher nicht endgültig vertraglich festgelegt sind und die bis jetzt Gegenstand von Gebietsstreitigkeiten sind.
Dieses schwerwiegende Problem stört auch den geplanten Anschluss des vor der Küste Zyperns gelegenen Aphrodite-Gasfeldes an die EastMed-Pipeline. Die Türkei hat bereits erklärt, dass Zypern ohne Berücksichtigung der Interessen Nordzyperns kein Recht hat, dieses Gasfeld auszubeuten, da es sich auf dem Festlandsockel dieses nicht anerkannten Staates befindet. Und das, obwohl ein schneller Anschluss des Aphrodite-Gasfeldes an die EastMed-Pipeline ohnehin nicht zu erwarten ist, denn das Gasfeld befindet sich noch im Anfangsstadium der Erschließung, und es wird einige Zeit brauchen, bis die geplante Fördermenge von 8 Milliarden Kubikmeter pro Jahr tatsächlich erreicht wird.
Bei EastMed hofft man sehr auf Investoren, doch die sind in der Regel niemals da zu finden, wo es zu politischen Konflikten und Gebietsstreitigkeiten kommt. Und bei diesem Projekt gibt es davon reichlich. Es könnte also sein, dass dem Leviathan nichts anderes übrigbleibt, als kraftlos am Meeresboden liegenzubleiben.