Spätestens seit der Erdgas-Krise im Jahr 2009 gilt Energiesicherheit in den Staaten Zentral- und Osteuropas eine besondere Aufmerksamkeit. Als 2014 schließlich die Auseinandersetzung zwischen der Ukraine und Russland in offenem Konflikt mündete, erreichte die Sorge um zukünftige Entwicklungen im Energie- und Versorgungssektor in der Region einen neuen Höhepunkt. Die “Eastring”-Pipeline sollte nach dem Willen der Slowakei die Versorgung der Zukunft sichern.
Nicht Wenigen galt die faktische Abhängigkeit von russischem Gas bereits vor 2014 als Bedrohung für die eigene Souveränität und Handlungsfähigkeit. Als Antwort auf das geplante Einstellen der Gas-Versorgung durch die sogenannte “Brotherhood”-Pipeline, die russisches Gas über die Ukraine und Slowakei nach Europa führte, schlug der slowakische Betreiber Eustream das “Eastring”-Pipeline Projekt vor. Obwohl als mögliche Lösung für die Herausforderungen regionaler Energie-Probleme beworben, sind es Analysen zu Folge vor allem nationale Interessen die das milliardenschwere Unternehmen vorantreiben.
Die Slowakei ist nach der Ukraine der zweitgrößte Transporteur von Gas über den Landweg und gehörte zu den am stärksten betroffenen EU-Staaten der Krise des Jahres 2009. Ganze 11 Tage floss im Januar kein Gas durch die Brotherhood-Pipeline. Nicht nur das Fehlen des Gases, sondern auch das Ausbleiben von Transit-Einkünften, führten letztlich zu größeren Anstrengungen seitens der EU-Mitglieder den Transit über die beiden Staaten zu umgehen. Aber auch Russland selbst plante die Lieferungen über die Ukraine durch neue Pipelines im Ostsee- und Schwarzmeer-Raum zu ersetzen. Die Slowakei geriet daher unter Zugzwang, um die Rolle als Transit-Land dauerhaft halten zu können.
Mit dem “Eastring”- Projekt stellte man schließlich eine Reaktion auf die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen vor. Anders als die alte “Brotherhood”- Pipeline, sollte “Eastring” das slowakische Netz mit dem Süd- und Osteuropäischen bis zur bulgarisch-türkischen Grenze in beide Fließrichtungen verbinden. Dabei können große Teile des slowakischen Abschnitts von “Brotherhood” in der Theorie weiterhin mit hoher Auslastung betrieben werden. Die Slowakei könnte so die Versorgung mit Gas für den eigenen Bedarf absichern und weiterhin von Nutzungsgebühren profitieren. Unter Experten gilt jedoch als wahrscheinlich, dass die Gas-Nachfrage in Europa in Zukunft kaum Steigerung erfahren wird. Auch weil man mittlerweile auf die Nutzung von Flüssigerdgas aus Westeuropa zurückgreifen kann. Zudem ist “Eastring” nur eine von vielen bereits operierenden oder geplanten Pipeline-Alternativen im europäischen Raum, mit den die Staaten den Transit zunehmend diversifizieren. Nur einige aktuellen Probleme des Pipeline-Projektes – selbst wenn es kaum von der Hand zu weisen ist, dass sich mit dem umgekehrten Gasfluss im “Brotherhood”- Netz mittlerweile ein erfolgreiches Geschäft durch die Versorgung der Ukraine durch Europa und über die Slowakei entwickelt hat.
Die Slowaken und allen voran der Betreiber Eustream halten dennoch an den Planungen fest. Doch so engagiert die Bemühung bisher waren, es ist nicht gelungen die für den Baubeginn erforderliche perspektivische Auslastung zu garantieren. Ursprünglich geplant war der Start der Arbeit an “Eastring” für 2022, die Fertigstellung für das Jahr 2025. Doch jetzt steht fest: Das Projekt muss auf unbestimmte Zeit verschoben werden und auch Förderung sowie Investitionen liegen zunächst einmal auf Eis. Sollte Eustream mittelfristig keine Vertragspartner finden, die bereit sind ihr Gas durch das Netz zu exportieren, wird die Pipeline wohl eine Idee auf dem Reißbrett bleiben.
Um letztlich doch noch die Auslastung gewährleisten zu können, zieht man seitens der Betreiber verschiedene Varianten in Betracht: Zum einen die Anbindung an den “südlichen Gaskorridor”. Die 3500km lange Pipeline transportiert Gas aus dem Kaspischen Meer über Aserbaidschan, Georgien, die Türkei, Griechenland und Albanien nach Italien. Doch die Option schien bereits zu Beginn unwahrscheinlich. Vor allem weil TANAP, ein wesentlichen Teil des “südlichen Gaskorridors”, bereits jetzt nahezu völlig ausgelastet ist und somit Ressourcen für zusätzliche Transitleistungen in Zukunft nicht zur Verfügung gestanden hätten. So endeten die Verhandlungen mit der aserbaidschanischen Betreiberfirma SOCAR im September dieses Jahres schließlich auch erfolglos.
Ebenfalls wenig aussichtsreich ist nach Expertenmeinung, EASTRING aus dem polnischen Flüssiggas-Terminal in Swinemünde oder dem litauischen Terminal „Unabhängigkeit“ mit Gas zu befüllen. Aufgrund der zu geringen Mengen an Flüssiggas und der unregelmäßigen Versorgung ist diese Version aus wirtschaftlicher Perspektive kaum tragbar. Auch Polens Wiederausfuhr von Gas aus der 2022 fertiggestellten Ostsee-Pipeline „Baltic Pipe“ in die Slowakei kann nicht in Betracht gezogen werden. Das Projekt führt Gas aus Norwegen über Dänemark in das Land. Im September 2019 teilte Warschau Bratislava mit, dass das gesamte aus Norwegen gekaufte Gas auf dem Inlandsmarkt verwendet wird.Nach jetzigem Stand spricht Vieles dafür, dass “Eastring” im sich rasant wandelnden europäischen Energiemarkt schlussendlich nur eine Fussnote bleiben wird. Doch die Krisen der vergangenen Jahre haben auch gezeigt, wie sensibel die energiewirtschaftliche Lage im Osten der europäischen Union tatsächlich ist. Ganz vom Tisch ist “Eastring” daher nicht. Für Eustream und die Slowaken in keinem Fall.