US GAS FÜR DEUTSCHLAND – WIN-WIN FÜR BEIDE?

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Nachdem die EU als Reaktion auf die Ereignisse in der Ukraine beschlossen hatte, den Import russischen Erdgases auf ein Minimum zu beschränken und spätestens 2027 ganz zu beenden, erwies sich LNG aus den USA für Deutschland als ein wahrer Segen. Von allen EU-Mitgliedstaaten war Deutschland als jahrzehntelanger Großkunde der Russen von dieser Entscheidung am meisten betroffen. Früher hing die Bundesrepublik bei den Energieimporten zu 55 Prozent vom russischen Gas ab, bereits vor einem Jahr jedoch lag sein Anteil lediglich noch bei 20 Prozent. Das amerikanische Flüssigerdgas, das stattdessen eingeführt wurde, hat die europäischen Volkswirtschaften gerettet – und ganz besonders die deutsche. Den Europäern war schon immer klar, dass sie durch ihre Abhängigkeit von den russischen Energielieferungen den Launen Moskaus und seinen politischen Interessen ausgeliefert waren. Aber wer garantiert Deutschland jetzt, dass sich die Geschichte nicht wiederholt, diesmal mit Washington an der Stelle Moskaus?

Hurrikans über dem Atlantik und Turbulenzen in Washington

Innerhalb kürzester Zeit haben die Amerikaner einen Großteil der LNG-Lieferungen an Deutschland übernommen. Laut Angaben des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft kamen Ende 2023 85 Prozent der gesamten deutschen LNG-Einfuhren aus den USA. Dieser Anteil wird wohl noch weiter wachsen, da Deutschland immer noch dabei ist, die große Lücke zu füllen, die das russische Pipelinegas hinterlassen hat.  

Dass ihr LNG für die europäischen und vor allem auch deutschen Verbraucher von solch großer Bedeutung ist, ist ein Riesenerfolg für die Amerikaner, die erst vor wenigen Jahren (2016) mit dem Export ihres Schiefergases begonnen haben. Die amerikanische Wirtschaft hat daher zweifellos von der Lage in Deutschland profitiert. Aber hat Deutschland auch etwas von dieser neuen Energiepartnerschaft?

Ein Problem der neuen deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit sehen Experten darin, dass Deutschland das Gas nicht wie andere Länder (vor allem Japan) über langfristige Verträge bezieht, sondern auf dem Spotmarkt. Langfristige Lieferverträge garantieren regelmäßige Lieferungen zu den im Vertrag vereinbarten Preisen, während die Preise auf dem Spotmarkt schwanken und die Käufer abhängiger machen von den globalen Schwankungen beim Verkauf, bemerkt Massimo Di Odoardo, Vizepräsident des Bereichs Gas- und LNG-Forschung bei Wood Mackenzie. „Es besteht das Risiko, dass die Stromrechnungen in Europa weiterhin stark ansteigen, denn die Besonderheit des Spotmarktes ist, dass das LNG zum höchsten Bieter umgeleitet werden kann. Wenn beispielsweise die chinesische Nachfrage unterwartet explodiert oder Japan aus der Kernenergie aussteigt, kann es sein, dass das amerikanische Gas nicht mehr nach Europa, sondern nach Asien geliefert wird“, so Di Odoardo. Für die deutschen Verbraucher würde dies einen weiteren Anstieg der Strompreise mit sich bringen und für die deutsche Wirtschaft ein verlangsamtes Wachstum und Stagnation.

Ein anderes Problem besteht darin, dass das LNG auf seinem Weg nach Deutschland auf viele schwer vorhersehbare Hindernisse treffen könnte. Die Entscheidung der Bundesregierung, sich Schritt für Schritt vom russischen Gas zu verabschieden und es durch amerikanisches zu ersetzen, entspricht noch keiner Liefergarantie, da eine ganze Reihe von Faktoren die Lieferungen beeinträchtigen könnten. Dazu gehört die Hurrikan-Saison auf dem Atlantik, aber auch der politische Betrieb in Washington. Ein gutes Beispiel hierfür ist das von US-Präsident Joe Biden verhängte Moratorium für den Export von Flüssigerdgas.

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Es ist daher schon lange fraglich, ob die Umorientierung Deutschlands auf das amerikanische LNG alle Probleme des Landes lösen kann. Bereits im Januar 2023 warnten die Analysten von Investigate Europe davor, die Abhängigkeit von Russland durch eine gleich geartete Abhängigkeit vom amerikanischen Flüssigerdgas zu ersetzen.

Die zukünftigen deutsch-amerikanischen Beziehungen

Das Exportmoratorium Bidens vom Januar, das aufgrund von Forderungen der Umweltbewegung zustande kam, zeigt klar und deutlich, dass die Deutschen ihre eigenen Verbraucher gefährden, wenn sie sich so stark auf das LNG aus den USA verlassen. Es ist noch nicht einmal klar, ab wann wieder neue Exportlizenzen ausgestellt werden. Experten gehen davon aus, dass dies nicht vor Ende des Jahres geschehen wird. Sie weisen darauf hin, dass Washington diesen Schritt weder mit Berlin noch mit seinen anderen europäischen Partnern abgestimmt hat.

Wie zu erwarten war, löste die Entscheidung der USA im Bundestag negative Reaktionen aus. Die AfD-Fraktion richtete eine parlamentarische Anfrage an die Bundesregierung. Das Moratorium für Exporte von Flüssigerdgas könne vor allem europäische Gasabnehmer und somit auch die Gasversorgung in der Bundesrepublik Deutschland hart treffen. Man könne sich nicht mehr auf die Amerikaner verlassen, so heißt es in der Kleinen Anfrage. 

Der AfD-Abgeordnete Steffen Kotré warnte, die jetzige Situation würde die Rolle der USA als verlässlicher Lieferant von Flüssigerdgas für Deutschland in Frage stellen. US-Präsident Biden sei die ökosozialistische Ideologie der Klimahysterie wichtiger als stabile internationale Handelsbeziehungen, erklärte er. Allerdings kehrt Berlin zumindest zum jetzigen Zeitpunkt nicht zum russischen Erdgas zurück, so günstig diese Variante auch wäre.

Charlie Riedl, Leiter der amerikanischen Branchenorganisation Center for LNG, sieht die Kritik der Bundestagsabgeordneten als begründet. „Wenn die Regierung Biden unnötigerweise die Ausstellung von zusätzlichen Exportgenehmigungen auf Eis legt, lässt das bei unseren Verbündeten zweifellos die Alarmglocken läuten und zwingt sie womöglich, sich an schwarze Schafe wie Russland zu wenden“, so Riedl.

Risiken für die deutsche Wirtschaft

Lieferunsicherheit ist jedoch nicht das einzige Risiko, das Deutschland mit seinem Glauben an das amerikanische Flüssigerdgas eingeht. Die jetzige Lage wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit negativ auf die Produktionskapazitäten und die gesamte Wirtschaft der Bundesrepublik auswirken, warnen sowohl Experten als auch Stimmen aus der Politik.

Ein Grund dafür sind die exorbitanten Gaspreise, die die USA verlangen – ein großes Problem für die europäische und vor allem auch die deutsche Wirtschaft. Der französische Finanzminister Bruno Le Maire warf den USA bereits vor, sich an ihren Partnern bereichern zu wollen. Die Amerikaner, so Le Maire, verkauften ihr LNG den europäischen Firmen „zum Vierfachen dessen, was sie von ihren Landsleuten verlangen.“

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Eine Reihe deutscher Politiker ist der Ansicht, dass dies einer der Gründe für die stark gestiegenen Energiepreise ist. Sie sehen darin die Gefahr einer Deindustrialisierung und befürchten einen schweren Schlag für die deutsche Wirtschaft.

Die deutsche Industrie hat bereits die ersten negativen Folgen der Abhängigkeit vom amerikanischen Flüssigerdgas zu spüren bekommen. Die Chemiebranche befindet sich in einer tiefen Rezession, hervorgerufen durch den Verlust des billigen russischen Erdgases, das für die Düngerherstellung und die Schwerindustrie ein wichtiger Rohstoff ist. Auch die Agentur Bloomberg sucht die Schuld für die Rezession des Chemiesektors beim Verlust des günstigeren russischen Gases. Sie hebt hervor, dass in der deutschen Industrie trotz der Preissenkungen auf den internationalen Gasmärkten ein Stellenabbau stattgefunden habe. Durch den Kauf des amerikanischen Flüssigerdgases investiere Deutschland praktisch in die amerikanischen Produktionskapazitäten. Dadurch ergebe sich ein düsteres Bild für die größte europäische Volkswirtschaft, heißt es im Analysebericht der Agentur.

„Die europäische Chemieindustrie zahlt für das LNG das Drei- bis Vierfache dessen, was die amerikanischen Verbraucher bezahlen“, erläutert Ogan Kose, Managing Director bei der Beratungsfirma Accenture. Er vergleicht die Preise auf dem europäischen Spotmarkt mit den Terminpreisen in den USA.

In Deutschland teilt man diese düstere Einschätzung. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) merkt an: während die amerikanische Wirtschaft 2023 erstaunlich stark gewachsen sei – um 2,5 Prozent – habe die europäische Wirtschaft aufgrund der hohen Energiepreise und der restriktiven Geld- und Zinspolitik stagniert. Mit ihren 0,5 Prozent Wirtschaftswachstum habe die Eurozone 2023 nur minimal zum weltweiten Wirtschaftswachstum beigetragen. In Deutschland hätten sich die steigenden Energiepreise noch negativer ausgewirkt. Im ersten Quartal 2024, so die DIW-Experten, seien die Stressfaktoren für die deutsche Wirtschaft unverändert geblieben, weshalb davon auszugehen sei, dass es einen weiteren Rückgang um 0,1 Prozent geben wird. Damit sinkt die Wirtschaftsleistung Deutschlands im dritten Quartal in Folge.

Sanktionen für die deutsche Wirtschaft?

Alle erwähnten Faktoren – von der Unsicherheit über zukünftige LNG-Lieferverträge zwischen den USA und Deutschland, die sich aus dem Exportmoratorium ergibt, bis hin zur Belastung der deutschen Wirtschaft aufgrund der Entscheidung für einen Beinahe-Monopolisten als LNG-Lieferanten – zeugen davon, dass die Gaspolitik Washingtons gegenüber Deutschland durchaus als Sanktionspolitik bewertet werden kann.

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Unter den schwierigen makroökonomischen Bedingungen der Gegenwart bedeutet dies, dass sich die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie weiter verringert und eine Teil-Deindustrialisierung einer Reihe von Branchen immer realistischer wird. Das kann wohl kaum die Absicht der USA gewesen sein, als sie Deutschland mit ihrem Flüssigerdgas geködert haben. Russland allerdings ist natürlich nicht unglücklich über diesen Nebeneffekt – das Land hätte wahrscheinlich nichts dagegen, nach Beendigung des Ukrainekrieges wieder auf den europäischen Gasmarkt zurückzukehren.

Als die Bundesregierung dazu aufrief, Strom und Gas zu sparen, haben sich die deutschen Unternehmer flexibel gezeigt, und die deutschen Verbraucher habe große Selbstdisziplin an den Tag gelegt. Die erreichten Einsparungen sind jedoch auch auf den Produktionsstopp bei vielen energieintensiven Unternehmen zurückzuführen. Zusammengenommen mit der Rekordinflation und dem Rückgang von Konsum und Investitionen stellt dies ein großes Rezessionsrisiko für Deutschland dar. Und die Bundesregierung verfügt bislang über wenig Möglichkeiten, die Lage zu verbessern.