Serbien hat die Zukunft der europäischen E-Mobilität in der Hand

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Der kleine Balkanstaat Serbien könnte sich durch seine geplante Lithiumförderung im Jadar-Tal zu einem entscheidenden Akteur in der europäischen, ja sogar der Weltwirtschaft mausern: ohne Lithium gibt es keine Elektromobilität. Der geplante Abbau stößt jedoch in der serbischen Öffentlichkeit auf außergewöhnlich heftigen Widerstand: fast täglich berichten die internationalen Medien über neue Proteste oder bringen Kommentare von Experten und Politikern. Wird es Serbien gelingen, den gesellschaftlichen Unmut zu überwinden und sich zum größten Lithiumlieferanten aufzuschwingen?

Die EU ringt um das serbische Lithium

Zwist um Ressourcen hat es schon immer gegeben. Der Kampf der größten Volkswirtschaften der Welt um die Vorherrschaft auf den neuen technologischen Nischenmärkten könnte die kommenden Jahrzehnte dominieren. Die Weiterentwicklung der „grünen“ Technologien hängt praktisch vollständig vom Zugang zu einer sehr begrenzten Anzahl von Rohstoffen ab, zu denen auch Lithium gehört. 

Die EU importiert praktisch das gesamte von ihr verarbeitete Lithium, hat jedoch Pläne, die gesamte Lieferkette für Mineralien und andere Rohstoffe für Akkus unter ihre Kontrolle zu bringen. Die weltweite Nachfrage nach Lithium wird nämlich vor allem aufgrund des Übergangs zur Elektromobilität, für die Lithium-Ionen-Akkus benötigt werden, bis 2030 voraussichtlich um den Faktor 18 und bis 2050 um den Faktor 60 ansteigen.

Die der EU am nächsten gelegene Lagerstätte dieses wertvollen Metalls sind die riesigen Vorkommen im serbischen Jadar-Tal. Sie umfassen nach aktuellen Schätzungen 158 Millionen Tonnen und machen damit 17 Prozent der gesamteuropäischen Lithiumvorkommen aus. Die EU ist bereits voll in das Tauziehen um diese Ressourcen eingestiegen.

Das Projekt hat allerdings bereits eine lange Geschichte voller unüberwindlicher Gegensätze zwischen dem Staat und der örtlichen Bevölkerung. Die Abbaupläne stießen bereits in der Vergangenheit auf großen Widerstand – 2022 entschied sich die Regierung nach Massenprotesten gegen das Projekt.

Jetzt wiederholt sich die Geschichte jedoch: die Behörden haben damit begonnen, die juristischen Hürden für den Lithiumabbau aus dem Weg zu räumen. Im Sommer 2024 unterzeichneten Serbien und die EU eine Absichtserklärung, die darauf abzielt, die Lithiumvorräte gemeinsam abzubauen. Zu diesem Zweck reiste eine hochrangige Delegation der EU nach Belgrad, zu der unter anderem der für den Grünen Deal zuständige Vizepräsident der EU-Kommission Maroš Šefčovič gehörte. Später stattete Bundeskanzler Olaf Scholz Belgrad einen Überraschungsbesuch ab. Er war in Begleitung von Top-Managern von Mercedes und Stellantis und – in diesem Zusammenhang besonders wichtig – von Vertretern des anglo-australischen Bergbaugiganten Rio Tinto unterwegs. Alle Besucher waren entschlossen, der EU den Zugang zu den strategisch wichtigen Ressourcen zu sichern.

In der Absichtserklärung heißt es, Serbien und die EU würden auf eine enge Zusammenarbeit der interessierten Wirtschaftsbeteiligten auf beiden Seiten hinarbeiten, sowie auf die verstärkte Ausarbeitung von Projekten, von denen beide Seiten profitieren. Serbien und die EU wollen die Handels- und Investitionsbeziehungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette vorantreiben, von der Erkundung bis zum fertigen Produkt, und dabei der Elektromobilitätsbranche besonderes Augenmerk schenken. Die serbische Regierung hat seither dem Raumordnungsplan für den Abbau und die Weiterverarbeitung von Lithium, den sie nach den Massenprotesten 2022 außer Kraft gesetzt hatte, neues Leben eingehaucht.

Die Interessen Belgrads liegen auf der Hand: die Förderung eines solch wichtigen Metalls im eigenen Land hätte natürlich nicht nur massive Investitionen in die serbische Wirtschaft zur Folge, sondern würde es dem Land auch ermöglichen, eine wichtige Rolle in einer der wachstumsintensivsten Branchen der EU zu spielen und so unter Umständen seinen Beitritt zur EU voranzutreiben.

«Wir glauben an einen riesigen Wachstumssprung für unser Land, der uns sechs Milliarden [Euro] an ausländischen Direktinvestitionen einbringen wird. Das sind ohne Zweifel die größten Investitionen, die in unserem Land je getätigt wurden“, so der serbische Präsident Aleksandar Vučić. Das serbische Energieministerium erklärte kürzlich, dass alle erforderlichen Genehmigungen innerhalb von zwei Jahren erteilt werden können. 

Für die EU ist das Projekt Teil einer Lösung des Lithium-Versorgungsproblems für die erfolgreiche Durchführung der Energiewende und die Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China (das allerdings bei den Lithiumvorräten weltweit nur Platz vier und bei der Fördermenge nur Platz drei belegt). 

China hatte ebenfalls Interesse an einer Zusammenarbeit mit Serbien beim Abbau der Lithiumvorkommen bekundet, doch Belgrad lehnte die Avancen der chinesischen Unternehmen praktisch sofort ab.

Gesellschaftlicher Unmut

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Die Pläne für den Lithiumabbau im Jadar-Tal sorgten in Serbien in den letzten Jahren für heftige Proteste. Die Spannungen rund um das Projekt wuchsen sich zu einem großen politischen und sozialen Konflikt aus, bei dem es nicht nur um Umweltfragen ging, sondern auch um die tiefsitzenden Ängste der Serben vor internationalen Großunternehmen, wirtschaftlicher Ungleichheit und fehlender Transparenz bei der Verwaltung der natürlichen Ressourcen des Landes.

Angesichts der Schlüsselrolle von Lithium bei der Herstellung von Akkus und Anlagentechnik für erneuerbare Energien nahmen viele die Pläne für das Lithiumbergwerk anfänglich als Schritt zur Integration Serbiens in die Weltwirtschaft wahr. Ziemlich schnell wurde dann jedoch klar, dass sich dieses Projekt statt zu einem wirtschaftlichen Durchbruch durchaus auch zu einem riesigen Umweltproblem auswachsen könnte. Die Gewinnung von Lithium aus dem Gestein ist ein chemieintensives Verfahren, das zur Verunreinigung von Gewässern und Böden führen kann – die Landwirtschaft ist in Westserbien der wichtigste Wirtschaftszweig.

Nach mehreren Monaten mit zunehmenden Protesten beschloss die serbische Regierung im Januar 2022, das Projekt mit Rio Tinto zu beenden. Dabei handelte es sich um eine Reaktion auf die Massendemonstrationen und den gesellschaftlichen Unmut gerade auch im Vorfeld der Wahlen im April des Jahres. Die damalige Ministerpräsidentin Ana Brnabić erklärte, das Projekt sei „beendet“ – augenscheinlich hatten Umweltbewegung und Lokalbevölkerung den Sieg davongetragen. Die Realität war jedoch komplexer: bereits 2023 stellte sich heraus, dass Rio Tinto trotz der offiziellen Stilllegung des Projekts weiterhin Ländereien in der Region aufkaufte. Es kam zu erneuten Protesten und einem zunehmenden Misstrauen gegenüber der Regierung.

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Die Gegner des Projektes, zu denen viele Aktivisten und Umweltschützer zählen, sind weiterhin davon überzeugt, dass die Bergbautätigkeit unumkehrbare Umweltschäden verursachen würde. Vor kurzem organisierte die Umweltgruppe Eko Straža eine Protestaktion, um auf die Verhaftung und Rechtsverfolgung von Dutzenden ihrer Mitglieder aufmerksam zu machen, die für ein umfassendes Verbot der Lithium- und Borförderung in Serbien eingetreten waren. Die Aktivisten sehen in den Bergbauplänen nicht nur eine Bedrohung für die Umwelt, sondern auch ein Symbol der Vorherrschaft internationaler Großkonzerne auf Kosten der Souveränität Serbiens. In den Debatten geht es auch immer wieder um andere Projekte von Rio Tinto auf der ganzen Welt, bei denen es zu riesigen Umweltskandalen kam.

Auch die Fachwelt hat sich gegen einen Abbau der Lithiumvorräte ausgesprochen. Die biologische Fakultät der Universität Belgrad, die mit einer Einschätzung der Folgen des Projekts für die biologische Vielfalt beauftragt worden war, kam zu dem Schluss, dass die von Rio Tinto vorgesehenen Abhilfemaßnahmen unzureichend und nicht geeignet seien, eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Ökosystems der Region zu verhindern. Die Wissenschaftler hoben hervor, dass es bei Projekten dieser Art häufig zu kurzfristigen Entscheidungen komme, während ihre möglichen Auswirkungen auf die Wasser- und Bodenqualität jedoch langfristiger Natur seien.

Der Widerstand gegen das Projekt entwickelte auch eine politische Dimension. Während ein Teil der Opposition versuchte, den Lithiumabbau mittels Gesetzesvorhaben zu verbieten, sah Präsident Vučić die Proteste als Versuch, den Staat zu unterminieren. Er erklärte öffentlich, die Protestaktionen könnten Handlungen in einem von außerhalb des Landes gesteuerten „hybriden Krieg“ gegen seine Regierung sein. Vučić behauptete, der russische Geheimdienst habe ihn vor einer Verschwörung gewarnt, mittels derer westliche Staaten versuchten, in Serbien prowestliche Kräfte an die Macht zu bringen. Diese Aussage kam zwar bei seinen Anhängern gut an, führte jedoch zu einer weiteren Polarisierung des Konflikts, da jetzt auch noch die Frage aufgeworfen wurde, wie eng Serbien und Russland miteinander verbandelt sind.

Rio Tinto versucht währenddessen, das Vertrauen der Öffentlichkeit zurückzugewinnen. Im September 2024 besuchte der Generaldirektor des Unternehmens, Jakob Stausholm, Westserbien, um einen Plan zur Eindämmung der Umweltrisiken vorzustellen. Er versprach, man werde Wasser aus unterirdischen Quellen statt aus den Flüssen verwenden und bis zu 70 Prozent des eingesetzten Wassers wiederverwenden. Er gab außerdem bekannt, Rio Tinto habe weitere 100 Millionen Euro für die Entwicklung einer sicheren Entsorgungstechnologie für die Bergbauabfälle bereitgestellt. Mit diesen Aussagen versucht das Unternehmen natürlich, die Spannungen zu reduzieren, doch vor dem Hintergrund seines Vorgehens in anderen Fördergebieten reagieren viele Serben skeptisch darauf.

Für die serbische Gesellschaft besteht das Hauptproblem darin, dass es fraglich ist, inwieweit die Bevölkerung des Landes überhaupt von der Lithiumförderung profitieren wird. Die Serben sind der Ansicht, dass ihre Interessen denen ausländischer Unternehmen geopfert werden, während der wirtschaftliche Gewinn für das Land im Verhältnis zu den langfristigen umwelt- und sozialpolitischen Risiken minimal sein wird.  Aus den von der Umweltbewegung initiierten Protesten wurde ein symbolischer Widerstand gegen weltweite Ungleichgewichte und die Unterordnung der nationalen Souveränität unter die Interessen des internationalen Kapitals.

Die Lithiumförderung ist also für die serbische Regierung, die Bevölkerung und die internationalen Konzerne weiterhin ein Stein des Anstoßes. Während die einen in diesem Projekt die Chance wittern, Serbiens Entwicklung und seine Integration in die Weltwirtschaft voranzutreiben, sind die anderen der Überzeugung, dass der Preis dafür viel zu hoch ist. Die Zukunft der Lithiumlagerstätte im Jadar-Tal ist nach wie vor ungewiss, doch eines ist klar: der gesellschaftliche Unmut wird sich nicht legen, und diese Frage wird auch in den kommenden Jahren das Land spalten.

Zusammenfassung

Die Zukunft der Elektromobilität und der gesamten „grünen“ Technologien hängt jetzt stark von Serbien ab. Ohne das serbische Lithium wird die EU ihrer Liste der Abhängigkeiten von Dritten definitiv einen weiteren wertvollen Rohstoff hinzufügen müssen, was langfristig die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Wirtschaft untergraben wird.

Obwohl gesellschaftliche Prozesse alles andere als transparent ablaufen, zeigen sie doch das große Risiko eines intensiven Lithiumabbaus auf. Vielleicht sollte man die Argumente der Gegner des Projekts zum Guten nutzen, indem man dafür sorgt, dass bei der Bergbautätigkeit die strengsten Umweltnormen eingehalten werden und man für das Projekt die Unterstützung der Umweltschutzorganisationen der EU genießt, die ja möglicherweise letztendlich die eigentlichen Nutznießer sein werden.

Gleichzeitig liegt es wohl im nationalen Interesse Serbiens, die Möglichkeiten, die die Lithiumförderung bietet, maximal auszuschöpfen und möglichst viele Glieder der Wertschöpfungskette auf seinem Staatsgebiet zu konzentrieren – angefangen bei der Förderung über die Verarbeitung bis hin zur Verwendung. Genau dies könnte zum Aufblühen Serbiens beitragen und die Bevölkerung mit der Regierung des Landes versöhnen.