Das Groninger Problem: warum der Erdgas-Förderstopp so schwierig ist

Das Erdgasfeld in Groningen ist eines der größten der Welt und war für die Niederlande knapp ein halbes Jahrhundert lang eine Quelle des Wohlstandes. Seit einigen Jahren allerdings bereitet es der Regierung nur noch heftiges Kopfzerbrechen. Die Coronapandemie und die fehlgeschlagene Energiewende könnten einer beschleunigten Stilllegung der Erdgasförderung entgegenwirken.

Warum die Niederlande die Gasförderung in Groningen einstellen müssen

Die Groninger Lagerstätte wurde 1959 entdeckt und war ab Förderbeginn 1963 eine der wichtigsten Gasquellen für Europa. Die zu erwartenden Fördermengen wurden in den ersten Jahren mehrfach nach oben korrigiert und 1962 wurde verkündet, das Erdgasfeld enthielte etwa 2,8 Billionen Kubikmeter, was es zu einer der größten Lagerstätten weltweit machte. 1976 erreichte die Fördermenge mit 88 Milliarden Kubikmetern ihren Höchststand.

Nach ein paar Jahrzehnten wurde jedoch klar, dass die Gasförderung mit großen seismischen Risiken verbunden ist. Bereits 1986 kam es zu einem ersten Erdbeben, seit 1991 wiederholen sich die Beben in immer kürzeren Abständen. 2012 fand das schwerste Beben statt, das einen Wert von 3,6 auf der Richterskala erreichte. Die Regierung beschloss daraufhin unter dem Druck der Öffentlichkeit, die Stilllegung der Erdgasförderung vorzubereiten.

Die erste Stufe der Förderrückgänge trat 2014 in Kraft. 2019 war die Förderung in Vergleich zu 2014 bereits um 73 Prozent reduziert, von 42 Milliarden auf 11 Milliarden Kubikmeter. Im selben Jahr wurde angekündigt, dass ab Mitte 2022 nur noch eine minimale Förderung in einigen Clustern stattfinden wird, um den Zusatzbedarf bei starkem Frost decken zu können. Zwischen 2025 und 2028 soll die Förderung komplett eingestellt und das Gasfeld stillgelegt werden.

Dieser Beschluss hat nicht nur Auswirkungen auf den niederländischen Gasmarkt, sondern auch auf die Nachbarländer. 2013 hatte das Groninger Erdgas einen Anteil von 10 Prozent am europäischen Gasmarkt. Die unvermeidliche Reduzierung der innereuropäischen Erdgasförderung durch die Schließung der Groninger Lagerstätte erhöht die Bedeutung langfristiger Lieferverträge mit Drittländern. Unter diesen Bedingungen ist es nur natürlich, dass sich die europäischen Unternehmen mittlerweile in Richtung der verlässlichen Lieferländer Russland und Norwegen umorientieren, die über riesige Vorkommen verfügen und im Rahmen langfristiger Vereinbarungen Liefergarantien abgeben. Bei dieser Gemengelage mutet es seltsam an, dass einige europäische Politiker dazu aufrufen, sich von der Praxis der langfristigen Verträge zu verabschieden und stattdessen die Energieversorgungssicherheit der ganzen EU dem Markt zu überlassen.

 Darüber hinaus gibt es einen Unterschied zwischen Groningen und den meisten anderen Erdgaslagerstätten der Welt, auch denjenigen in Norwegen und Russland: das Groninger Erdgas enthält viel Stickstoff und wird wegen seines geringeren Energiegehalts als L-Gas (Erdgas leicht) bezeichnet. Über die Jahrzehnte ist um das Erdgasfeld herum eine Gastransportinfrastruktur entstanden, die auf diesen Gastyp ausgerichtet ist. Über sie werden etwa 15 Millionen Haushalte in den Niederlanden, im Nordwesten Deutschlands, in Belgien und Nordfrankreich versorgt. Wirtschaft und Verbraucher nutzen das L-Gas zum Kochen, Heizen und zur Stromgewinnung. Aus diesem Grund kann das Groninger Erdgas nicht einfach ohne eine Vorbehandlung oder die Modernisierung der Infrastruktur durch importiertes Gas ersetzt werden.

Wie die Niederlande die Gasversorgung sicherstellen wollen

2019 verpflichtete die niederländische Regierung alle Unternehmen mit einem jährlichen Erdgasbedarf von über 100 Millionen Kubikmetern zur Umstellung auf H-Gas mit hohem Energiegehalt. Gleichzeitig begann man mit dem Ausbau der Anlagen für die Stickstoffbeimischung, sodass importiertes H-Gas für die Nutzung in der bestehenden Infrastruktur und in Haushalten aufbereitet werden kann. Parallel dazu stimuliert der Staat den Umstieg von gasbetriebenen Haushaltsgeräten auf Elektrogeräte.

Belgien ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Abkehr vom L-Gas gelingen kann, obwohl das Gastransportnetz des Landes auf die Lieferungen aus den Niederlanden ausgerichtet ist. Im Frühjahr 2021 hieß es in einem Schreiben des belgischen Energieministeriums an die Niederlande, dass bis Ende 2024 voraussichtlich alle belgischen Haushalte auf H-Gas umgestellt haben werden. Die Belgier werden dann kein L-Gas mehr nutzen, werden jedoch seine Durchleitung nach Frankreich weiterhin ermöglichen.

Der Umbau des belgischen Gasnetzes begann 2018 und schreitet mit jedem Jahr schneller voran. 2021 hatte das L-Gas noch einen Anteil von 22 Prozent am belgischen Energieverbrauch, im Vergleich zu 30 Prozent vor Beginn der Umstellung. Die belgischen Netzbetreiber stellen eine Region nach der anderen um, was das Verfahren beschleunigt. Eine solche Herangehensweise ist jedoch in Deutschland und Frankreich unmöglich.

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Letzte Neuigkeiten

Anfang Januar kündigte das niederländische Wirtschaftsministerium an, dass die Förderung in Groningen im Laufe dieses Gaswirtschaftsjahres (Oktober 2021-September 2022) höchstwahrscheinlich beinahe doppelt so hoch ausfallen wird wie ursprünglich vorgesehen: 7,6 statt 3,9 Milliarden Kubikmeter. Dies ist erforderlich, um den nordwesteuropäischen Bedarf an L-Gas zu decken, wenn die Anzahl der Heizgradtage dem üblichen Gaswirtschaftsjahresdurchschnitt entspricht. Das laufende Gaswirtschaftsjahr sollte ursprünglich das letzte reguläre Förderjahr in Groningen sein. Als Gründe für den erwarteten Förderzuwachs werden die verzögerte Inbetriebnahme der neuen Stickstoffbeimischungsanlage in Zuidbroek sowie die gestiegene Nachfrage aus Deutschland genannt.

Zuidbroek

Eines der wichtigsten Projekte im Rahmen der Stillegung des Groninger Erdgasfeldes ist der Ausbau der Stickstoffbeimischungsanlage in Zuidbroek durch die Firma Gasunie. Die Anlage soll große Mengen L-Gas aus H-Gas herstellen und so die Nachfrage nach dem Erdgas aus Groningen drücken. Im Januar 2022 wurde endgültig klar, dass sich die Inbetriebnahme der Anlage um vier Monate auf August 2022 verschieben wird. Begründet wird dies mit Verzögerungen durch die Coronapandemie. Hierdurch könnte in Groningen eine Mehrförderung von etwa 2 Milliarden Kubikmetern erforderlich werden, so das Ministerium.

Das Problem Deutschland

Die Niederlande werden außerdem die geplante Fördermenge überschreiten müssen, um ihren vertraglichen Verpflichtungen gegenüber Deutschland nachkommen zu können. Die Verträge sehen vor, dass Deutschland wenn nötig zusätzliche Lieferungen verlangen kann. Genau dies ist geschehen: Deutschland hat zusätzliche 1,1 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Groningen angefordert. Der niederländische Gashändler GasTerra bestätigt, dass den Niederlanden aufgrund der mit Deutschland vereinbarten Vertragsbedingungen die Hände gebunden sind.

Hierdurch entstehen politische Risiken für die Regierung in Den Haag, doch auch Deutschland befindet sich in einer Zwangslage: das Land hat beim L-Gas keinerlei Alternativen zu den Lieferungen aus den Niederlanden. Um die Versorgungssicherheit im Nordwesten des Landes garantieren zu können, muss Deutschland auf die Klausel im Vertrag zurückgreifen. Der unerwartete Anstieg der Nachfrage nach L-Gas in Deutschland liegt in der Tatsache begründet, dass die dort eingeführten Energieeffizienzmaßnahmen nicht zu einem Absinken der Nachfrage geführt haben, und darin, dass die innerdeutsche Produktion von L-Gas hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist.

Der Gasspeicher in Grijpskerk

Ein weiteres Projekt im Rahmen der Stillegung des Groninger Gasfeldes ist die Umrüstung des Gasspeichers in Grijpskerk von H-Gas auf L-Gas. Der Speicher sollte ursprünglich im Sommer 2022 gefüllt werden, und zwar ohne eine Erhöhung der Fördermenge in Groningen. Im September versicherte der niederländische Wirtschafts- und Klimaminister Stef Blok, der neue unterirdische Speicher werde mit L-Gas gefüllt, das durch Beimischung von Stickstoff zu H-Gas entstanden ist, und nicht mit Gas aus Groningen.

Im Dezember veröffentlichte das Wirtschaftsministerium den Entwurf eines Dokumentes, in dem zur Stabilisierung der zukünftigen Nachfrage die Umstellung des Speichers auf L-Gas abgesegnet wird. Wenn dies entsprechend beschlossen wird, folgt unweigerlich die Füllung des Speichers. Allerdings kommt es ja aufgrund der Verzögerungen bei der Anlage in Zuidbroek und der geänderten Nachfrage aus Deutschland zu einer Produktionssteigerung. Es könnte also durchaus geschehen, dass der Speicher mit Groninger Gas gefüllt werden muss – wodurch das Projekt ad absurdum geführt würde.

Am 1. April trifft das Kabinett die endgültige Entscheidung über die diesjährige Fördermenge. Es ist jedoch bereits jetzt klar, dass diese über der ursprünglich vorgesehenen Menge liegen wird. „Es herrscht schon jetzt ein eindeutiger Mangel an Erdgas, die Vorräte sind für diese Jahreszeit so niedrig wie noch nie. Es wird auf jeden Fall mehr Gas benötigt werden“, so der Energiespezialist Hans van Cleef von ABN Amro.

All dies wird dazu beitragen, dass die Fördermenge in Groningen im laufenden Gaswirtschaftsjahr bei einer durchschnittlichen Zahl von Heizgradtagen 6 Milliarden Kubikmeter erreichen wird, oder gar 7,6 Milliarden Kubikmeter, wenn der Untergrundspeicher in Grijpskerk tatsächlich auf L-Gas umgestellt wird. 7,6 Milliarden Kubikmeter entsprächen in etwa dem Niveau des Vorjahres (7,77 Milliarden Kubikmeter). Ein extremer Kälteeinbruch hätte zur Folge, dass die Produktion auf 12 Milliarden Kubikmeter hochgeschraubt werden müsste, während sehr milde Witterung 4.6 Milliarden Kubikmeter erwarten ließe.

Panoramic summer view of the landscape and multi-fuel power station with wind turbines at Eemshaven, in Groningen, the Netherlands.
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Schlußfolgerung

Nach einer Analyse der Förderentwicklung sowie der Preise am virtuellen Handelspunkt TTF lässt sich sagen, dass zwischen diesen beiden Faktoren kaum eine negative Korrelation besteht. Die Beschränkung der Erdgasförderung in Groningen war kein entscheidender Faktor für die Preisentwicklung in Europa. Dies hat wahrscheinlich damit zu tun, dass die Schließung der Gaslagerstätte von langer Hand geplant und allseits bekannt war. In Bezug auf den Zusammenhang zwischen den beiden Faktoren äußert sich der Gasexperte Dr. Amin Shokri vom Gas Exporting Countries Forum (GECF) folgendermaßen: Die Stilllegung der Förderung sei nicht plötzlich gekommen und der Gasmarkt habe einige Jahre Zeit gehabt, sich an die neue Realität anzupassen. Daher sei die Stilllegung in erster Linie ein Problem im Bereich Investitionen und Soziales und keineswegs ein marktwirtschaftliches. Doch selbst wenn es den Niederlanden doch noch gelänge, die Förderung planmäßig zurückzuschrauben und im nächsten Gaswirtschaftsjahr 2022-23 den vorgesehenen Tiefststand zu erreichen, werde Groningen weiterhin für großen Unmut in der Bevölkerung sorgen.

Das Kernproblem sind die Entschädigungszahlungen für diejenigen Einwohner Groningens, deren Häuser durch die Erdbeben beschädigt wurden. Die im am 10. Januar angelaufenen Entschädigungsprogramm vorgesehenen 220 Millionen Euro waren innerhalb kürzester Zeit aufgebraucht. Währenddessen demonstrieren die Einwohner der Erdbebenregion für eine sofortige Begleichung ihrer Sanierungskosten. Der für Bergbau zuständige Staatssekretär Hans Vijlbrief bezeichnete die Vorgänge als “beschämend” und versprach, statt politischer Erwägungen die Einwohner Groningens in den Mittelpunkt zu stellen. Er versprach außerdem, den Entschädigungsfonds um weitere 250 Millionen Euro aufzustocken. Die Forderungen Deutschlands nach zusätzlichen Lieferungen gießen Öl aufs Feuer und verstärken noch den Unmut unter der Bevölkerung. Der Rat der Provinz Groningen hat die Regierung übrigens aufgefordert, die Förderung entweder komplett einzustellen, oder aber den gesamten Gewinn aus dem Verkauf der zusätzlichen 1,1 Milliarden Kubikmeter den Geschädigten zukommen zu lassen. Die parlamentarischen Anhörungen hierzu beginnen voraussichtlich im Februar und könnten sich sehr lange hinziehen.