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Die mögliche Aufhebung der Sanktionen gegen die iranische Ölindustrie steht in diesen Tagen erneut ganz oben auf der politischen Tagesordnung. Die USA und die EU sind auf der Suche nach einer sofortigen Lösung für das Öldefizit, da sie angesichts eines möglichen umfassenden Ölembargos gegen Russland unter Zeitdruck stehen. Die Zahlen belegen den Umfang dieser Herkulesaufgabe: es geht darum, täglich 4,2 Millionen Barrel russisches Öl zu ersetzen (wenn die Lieferungen Russlands an ehemalige Sowjetstaaten außen vor bleiben), im Idealfall sogar die kompletten 4,7 Millionen.
Zum Hintergrundverständnis: die USA sind kaum in der Lage, noch mehr Öl ausführen als bisher. Auch die Fördermöglichkeiten in den USA sind beinahe ausgeschöpft, wovon insbesondere die Preissteigerungen auf dem Binnenmarkt zeugen, die mit der schnellen Ausschöpfung der relativ günstigen und leicht zugänglichen Lagerstätten zusammenhängen. Eine weitere Erhöhung der Fördermenge könnte lediglich dazu dienen, die Preisschwankungen auf dem Binnenmarkt auszugleichen, was momentan bereits der Fall ist. Dies bedeutet, dass eine Verdrängung Russlands vom Ölmarkt nur über außenpolitisches Handeln möglich ist.
Unter diesen Umständen ist der Zugang zum Weltmarkt für iranisches Öl von großer Bedeutung, nicht nur als Instrument zur Verdrängung des russischen Öls. (Wenn nicht mindestens die iranische Ölmenge von vor den Sanktionen auf den Markt gelangt – 2,6 Millionen Barrel täglich – ist eine Verdrängung Russlands nicht möglich.) Angesichts der Zurückhaltung der arabischen Partner der USA beim Thema Liefersteigerungen würde sich der Marktzugang für den Iran auch positiv auf die internationale Preisstabilität auswirken. Daher steht der Iran nun im Mittelpunkt eines komplexen geopolitischen Reigens. Einerseits erleichtert dies Washington den Dialog mit Teheran, andererseits wird der Kontext dieses Dialoges immer breiter und komplexer, was dem Westen nicht immer zum Vorteil gereicht. Aus politischer Sicht ist eine Beendigung des Ölembargos gegen den Iran möglich und sogar sehr wahrscheinlich. Die iranische Führung hat sich einem Kompromiss mit den USA angenähert, auch in dem Wissen, dass eine Fortsetzung ihres Atomprogramms unweigerlich zu Angriffen Israels auf die nuklearen Einrichtungen des Landes führen würde. Der Iran benötigt dringend Devisen, um seine sozioökonomische Modernisierung voranzutreiben und ist daher an einer Beendigung seiner Isolation interessiert.
Der Zugang iranischen Öls zum Weltmarkt geht jedoch mit einem strategischen Problem einher: Es gilt, die russischen Energieträger, vor allem das Erdöl, nicht einfach komplett zu verdrängen, sondern von ganz bestimmten Märkten und im Rahmen bestimmter Preisparameter, die relativ hoch angesetzt werden müssen. Vor den Sanktionen, bis 2017, war der Export des iranischen Erdöls auf eine ganz bestimmte Region begrenzt. Der Großteil (70 Prozent) der Exporte ging nach Ost- und Südostasien und nach Indien. Diese Länder werden sich allerdings, das haben die Ereignisse vom März 2022 gezeigt, kaum komplett in ein Ölembargo gegen Russland einbinden lassen, wie es von Washington anvisiert wird. Doch gerade von ihren Märkten soll das iranische Erdöl das russische verdrängen. Während in Indien gute Marktchancen für iranisches Öl zu erwarten sind, wird beispielsweise auf dem chinesischen Markt das russische Erdöl klare Wettbewerbsvorteile haben. Dass iranisches Öl auch nach Europa gelangt, scheint nicht unbedingt Teil des amerikanischen Plans zu sein, da die USA die geopolitischen Gegebenheiten vermutlich zu ihrem Vorteil nutzen möchten und eine umfassende Kontrolle über den europäischen Energiemarkt anstreben könnten.
Eines der größten Probleme ist der Transport des zusätzlichen Öls: aus verschiedenen politischen und technischen Gründen wird der Iran in den kommenden anderthalb Jahren kaum von den Pipelines rund um das Kaspische Meer Gebrauch machen können. Dies kann sich natürlich zu gegebener Zeit ändern, jedoch nicht sofort.
Es gibt auch Einschränkungen, die sich aus den technologischen Besonderheiten der iranischen Ölförderung ergeben. Man könnte meinen, das iranische Verhältnis von schwerem Erdöl (20 Prozent der Förderung) zu leichtem (80 Prozent) wäre günstig für den Export, obwohl es das Spektrum an gewinnbringenden Erdölprodukten leicht einschränkt. Das Problem besteht jedoch in einem niedrigen Recovery-Faktor – vor der Verhängung der jüngsten Sanktionen betrug er gerade einmal gut 30 Prozent. Dies zeugt nicht nur von einer relativ niedrigen Effizienz der iranischen Industrie, sondern auch davon, dass eine schnelle Ausweitung der Förderung ohne die Erschließung neuer Lagerstätten und umfangreiche Investitionen in die Fördertechnologie unmöglich ist. Anders ausgedrückt: vom Iran ist lediglich ein vorübergehender Anstieg der Ölförderung zu erwarten, auf den eine Pause für die umfangreiche Modernisierung folgen müsste.
Doch auch dies könnte durchaus ganz im Interesse der USA liegen. Washington braucht eine Art aufsehenerregende Initialzündung, die die Weltkonjunktur beeinflussen kann. Darum kreisen jetzt die politischen Prozesse. Wie es danach auf den Märkten weitergeht, ist für das Weiße Haus momentan zweitrangig.
Neben den offensichtlichen branchenspezifischen Einschränkungen gibt es jedoch auch noch eine ganze Reihe von politischen Faktoren, die es erschweren, den Iran aus seiner Isolation zu holen. Mit dem Erstarken der Republikaner im Vorfeld der Kongresswahlen im Herbst wäre der größte Stolperstein die mögliche Rückkehr des Themas Iran auf die innenpolitische Agenda der USA. Je länger sich das jetzige Hin und Her zwischen Washington und Teheran hinzieht, desto bedeutender wird dieser Faktor, der prinzipiell eher gegen einen „Ölkompromiss“ spricht.
Es spielen auch noch weitere Faktoren eine Rolle:
Erstens: Die bereits ausgehandelten Vereinbarungen zwischen dem Iran und den Importländern, in erster Linie den südostasiatischen. Selbst wenn die Sanktionen komplett aufgehoben werden, wird das Angebot an iranischem Öl dadurch begrenzt sein, dass zuerst die bereits abgeschlossenen Verträge zu erfüllen sind. Dabei handelt es sich in erster Linie um Tauschverträge, da sich die Abneigung der iranischen Führung gegenüber einer Abrechnung in Dollar nicht nur erhalten, sondern sogar verstärkt hat.
Zweitens: Die politische Legitimierung des iranischen Regimes in den USA. Die iranische Führung, der die heikle Lage der USA durchaus bewusst ist, wird sich wohl kaum mit einer Beschränkung auf Erdöl und den Atomdeal zufriedengeben. Der Iran strebt eine umfassende Vereinbarung mit den USA an, in deren Rahmen es natürlich auch um die Anerkennung des geopolitischen Status des Iran gehen würde. Dies käme jedoch nach Meinung der meisten Experten einem politischen Selbstmord der heutigen amerikanischen Regierung gleich, zumindest vor den für den Herbst 2022 angesetzten Wahlen.
Drittens: Obwohl große Teile der iranischen Elite zu politischen Kompromissen bereit sind, tauchte in den vergangenen Wochen die heikle Frage nach den Abrechnungsmodalitäten für das Öl auf. Es ist äußerst wahrscheinlich, dass Teheran bei der Abrechnung nicht auf den Dollar oder den von der EU bevorzugten Euro setzen wird, sondern auf den Yuan. Dies wird wohl weder in Washington noch in Brüssel auf Gegenliebe stoßen.
Viertens: Die Hauptaufgaben der iranischen Führung sind momentan die Modernisierung der Streitkräfte, die Stabilisierung der Nahrungsmittelversorgung und die Modernisierung des iranischen Energieversorgungssystems. Bei der Lösung von zwei dieser drei komplexen Aufgaben gibt es für den Iran lediglich zwei mögliche Partner: China und – leider – Russland, und dessen ist man sich in Teheran offenbar völlig bewusst. Aus diesem Grund wird der Westen Schwierigkeiten haben, den Iran zu einer neuen Abmachung zu bewegen, die Russland ausschließt.
Fünftens: Die Interessen der Bündnispartner der USA im Nahen Osten – nicht nur Saudi-Arabiens, sondern aller Ölstaaten am Persischen Golf. Diese befürchten zu Recht, dass eine Vereinbarung mit dem Iran ihnen zum Nachteil gereichen würde. Es ist anzunehmen, dass diese Länder jetzt nur noch mehr Druck auf Washington ausüben werden, und dass dieser Druck angesichts der Art und Weise, wie die arabische Öl-Lobby in Washington vorgeht, auch sehr persönliche Formen annehmen kann. Zum Schluss die wichtigste Frage: der Knackpunkt für die USA und die EU wird in nächster Zeit nicht etwa das Erdöl sein, sondern das Erdgas, obwohl Russland in Dollar gemessen viel mehr Öl exportiert als Gas. Denn gerade beim Erdgas zeichnen sich die größten Probleme ab (auf dem europäischen Markt, jedoch nicht nur dort). Vereinbarungen mit dem Iran über Ölimporte würden keineswegs zur Lösung dieses Problems beitragen. Ganz im Gegenteil: sie würden das Handlungsfeld für die USA noch viel komplexer machen. Denn ein Kompromiss mit dem Iran würde den anderen Konfliktparteien auf dem Energiemarkt zeigen, dass man die unter Zeitdruck stehenden Amerikaner zu umfangreichen, auch politischen, Zugeständnissen drängen kann. Es lässt sich daher leicht vorhersagen, dass sich das geopolitische Ringen um den Iran noch eine Zeitlang hinziehen wird.